Essen. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall streiten Politik und Gesellschaft darüber, wie das SED-Regime zu bewerten ist. Dabei werden auch Stimmen für eine differenzierte Bewertung des Regimes laut. Kritiker warnen jedoch davor, das Unrecht durch Stasi und Mauer schön zu reden.

Dieses Jahr 2009, es wird ein „deutsches Jahr” werden. Es trägt noch oft die Farben Schwarz-Rot-Gold, und es wird noch viel über die jüngere Vergangenheit zu hören sein. Denn in diesem Jahr feiert die Bundesrepublik ihr 60. Lebensjahr: Am 23. Mai 1949 wurde die Verfassung verkündet, die Geburtsstunde dieses Staates. Und ein zweites Ereignis wird sich in diesem Jahr runden: der Untergang der DDR. Vor 20 Jahren erhielten die Ostdeutschen die Freiheit zurück.

Thierse: DDR war mehr als nur die Stasi

Doch schon jetzt ist eine Debatte um die Bewertung der DDR-Geschichte entbrannt. Es gebe starke Tendenzen, den SED-Staat zu verklären, klagen Kritiker aus Gesellschaft und Politik. Und es scheine so, als seien Mauertote, Stasi-Bespitzelung und Staatswillkür bereits vergessen.

Nun provozierte eine Bemerkung des sozialdemokratischen Regierungschefs von Mecklenburg-Vorpommern heftigen Widerspruch. Denn Erwin Sellering verwahrte sich dagegen, „die DDR als totalen Unrechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab”.

Ähnliches ist wiederholt auch von Vertretern der Linken zu hören gewesen. Aber auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse verlangte, die DDR nicht global zu verdammen: Sie sei zwar ein Unrechtsstaat gewesen, sagte er, und die „Stasi war das Faszinosum”. Thierse: „Das ist verständlich, aber darin geht die DDR-Geschichte nicht auf.”

"Systematisch Willkür begünstigt"

Derlei relativierende Sichtweisen rufen nun vielstimmigen Protest auf den Plan, wobei es Sellering gelang, die ansonsten in sich ruhende SPD-Bundespräsidentschafts-Kandidatin Gesine Schwan in Rage zu bringen: „Die DDR war kein Rechtsstaat, sondern hat systematisch Unrecht, Willkür und Verlogenheit begünstigt”, schoss Kandidatin Schwan im Rheinischen Merkur zurück.

Tagtäglich mit dem Erbe der SED-Herrschaft befasst ist Hubertus Knabe, der als Direktor die Gedenkstätte der DDR-Opfer im einstigen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen leitet. Im Gespräch mit der WAZ äußert sich Knabe „befremdet und in Sorge über diese Debatte”. Knabe: „Ein Staat, der seine Bevölkerung mit Stacheldraht und Selbstschussanlagen einmauert, ist per se ein Unrechtsstaat. Wenn er auch noch mehr als 200 000 Menschen unschuldig ins Gefängnis wirft, ist dies erst recht offenkundig. Dass an dieser Einschätzung gerüttelt wird, und zwar auch von sozialdemokratischer Seite, entsetzt mich. Ich frage mich, was der Ahnherr der SPD, Kurt Schumacher, zu solchen Äußerungen heute sagen würde.”

Als Grund dafür, dass dieses DDR-Thema jetzt aufkam, vermutet Knabe, dass „es sich schlicht um Wahlkampftaktik handelt”. Wie beim Mindestlohn versuche die SPD „offenbar auch beim Thema ,DDR-Nostalgie' der Linkspartei Konkurrenz zu machen und damit in Ostdeutschland auf Stimmenfang zu gehen”. Knabe hält dies „für unstatthaft, weil der fundamentale Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur ins Schwimmen gerät. Mit einem demokratischen Politikverständnis ist das nicht vereinbar.”

Verklärung des Regimes

Und die Debatte passe auch zu den diversen Tendenzen, die DDR zu verklären: „41 Prozent der Ostdeutschen sind der Ansicht, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen. Nur 28 Prozent sagen, er war es sehr wohl. Bei einer solchen Stimmung liegt die Versuchung nahe, sich bei den Menschen anzubiedern”, rügt der Direktor. Sein Standpunkt ist eindeutig: „Ich meine, dass es Aufgabe eines demokratischen Politikers ist, bei der Bewertung einer Diktatur nicht herumzueiern, sondern klar und deutlich zu sagen, um was es sich bei der DDR gehandelt hat: um einen Unrechtsstaat, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten wurden.”

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