Essen. . Seit drei Wochen wird die kurdische Enklave Kobane von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ angegriffen. Kurdische Kämpfer leisten erbitterten Widerstand, können mit ihren leichten Waffen aber wenig ausrichten. Kurdenführerin Abdullah ruft die Anti-IS-Koalition zu Hilfe auf.

Seit drei Wochen wird die kurdische Enklave Kobane von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ angegriffen. Kurdische Kämpfer leisten erbitterten Widerstand, können mit ihren leichten Waffen aber wenig ausrichten gegen die mit Panzern und Artillerie ausgerüsteten Terroristen. Die NRZ hat mit Asya Abdullah mithilfe des Übersetzers Emrullah Duman über die Situation gesprochen. Sie ist Co-Vorsitzende der syrischen Kurdenpartei PYD und derzeit in Kobane.

Frau Abdullah, wie ist die aktuelle Situation in Kobane?

Asya Abdullah: Die Gefechte gehen mit unvermittelter Intensität weiter. Die IS-Terroristen haben neue Kräfte zusammengezogen und strategisch wichtige Positionen besetzt. Sie haben ihre schweren Waffen näher an Kobane herangeführt und stehen jetzt an der Stadtgrenze.

Wie viele kurdische Kämpfer sind noch in der Stadt?

Abdullah: Eine genaue Zahl können wir nicht nennen. Mittlerweile kämpfen aber nicht nur die Volksverteidigungseinheiten, die YPG. Mit der YPG haben sich andere syrische Oppositionsgruppen zum Bündnis Burkan el-Firat zusammengeschlossen. Auch die zivile Bevölkerung greift zu den Waffen.

Wie viele Zivilisten sind noch in Kobane?

Abdullah: Auch das kann ich nicht genau sagen. Wir haben etliche herausbringen können. Aber sowohl in der Stadt als auch in der Region um Kobane herum sind noch viele Zivilisten. Es droht jeden Tag ein Massaker.

Haben Sie Erkenntnisse über die Opferzahlen?

Abdullah: In Kobane selbst sind in den vergangenen Tagen 15 Zivilisten durch den Beschuss des IS gestorben, sehr viel mehr wurden verletzt. Uns erreichen immer wieder Berichte von Menschen, die es nicht rechtzeitig aus den Dörfern um Kobane heraus geschafft haben und die vom IS ermordet wurden. Erst gestern wurden die Leichen einer 70-Jährigen und einer jungen Frau hierher gebracht.

Mit welchen Waffen kämpfen die Verteidiger der Stadt?

Abdullah: Unsere Kämpferinnen und Kämpfer haben nur leichte Waffen. Die IS-Terroristen haben aus Mossul und aus Rakka modernes Gerät herangeführt, Panzer und Mörser. Damit greifen sie uns aus der Distanz an. Aus arabischen Dörfern bekommen wir Meldungen, dass sie von dort junge Menschen verschleppen und zum Einsatz an der Front zwingen. Sie setzen vorne kampfunerfahrene Leute ein, unter denen die Verluste gewaltig sind.

Wie lange reicht noch die Munition der kurdischen Kämpfer und welche Waffen brauchen sie?

Abdullah: Unsere Munition wird knapp. Aber wir sind zuversichtlich, dass der Widerstand weitergeht. Die YPG leistet seit 22 Tagen erbitterten Widerstand und wird es weiter tun. Aber wir brauchen dringend Antipanzer-Raketen und Waffen, mit denen man die Artillerie des IS außer Gefecht setzen kann. Wenn diejenigen, die erklärt haben, dass sie den IS bekämpfen wollen, das ernst meinen, müssen sie uns mit solchen Waffen unterstützen.

Die US-geführte Koalition erklärt, dass sie bei Kobane Luftangriffe fliegt. Hilft ihnen das?

Abdullah: Nicht wirklich. Wir begrüßen die internationale Front gegen den IS. Aber die Luftangriffe sind sehr schwach. Die Lücken, die durch die vereinzelten Angriffe in den IS-Stellungen gerissen werden, füllen die Terroristen schnell wieder auf. Es gibt punktuelle Schläge, aber meistens außerhalb von Kobane. Das erscheint uns sehr unaufrichtig. Wenn man den Kampf wirklich ernst nehmen würde, müsste man ihn anders umsetzen. Uns würde ein intensiver, harter Schlag gegen die IS-Stellungen reichen. Wenn die Koalition wie im Irak angreifen würde, könnten die YPG in die Offensive gehen.

Führen Sie die Zurückhaltung der internationalen Koalition auf eine Rücksichtnahme gegenüber der Türkei zurück, die Probleme mit einer autonomen kurdischen Region in Syrien hat?

Abdullah: Es stimmt uns schon nachdenklich, dass die Angriffe auf den IS so schwach sind. Wir fragen uns, ob politische Gründe dahinterstecken. Aber es geht jetzt nicht um das Interesse der Kurden oder autonome Strukturen, es geht um den Schutz der Bevölkerung. Politische Gründe sollten jetzt nicht im Vordergrund stehen, sondern humanitäre. Der IS stellt nicht nur eine Gefahr für Kobane dar, sondern auch für die Türkei.