Düsseldorf/Hamburg. Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen gerät nach den Übergriffen auf Flüchtlinge weiter in die Defensive. Scheibchenweise gibt Innenminister Jäger zu, von den Problemen gewusst zu haben sieht aber keinen Grund für Konsequenzen. Die Regierung zeigt sich zerknirscht. Das reicht der Opposition nicht aus.

Im Skandal um misshandelte Flüchtlinge in Notunterkünften des Landes Nordrhein-Westfalen erhöht die Opposition den Druck auf die Regierung von Hannelore Kraft (SPD). CDU und FDP legten Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Donnerstag im Düsseldorfer Landtag einen Rücktritt nahe. Rot-Grün trage durch ein eklatantes Versagen eine Mitverantwortung für die Missstände. Kraft und Jäger räumten Versäumnisse ein, versprachen eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle und kündigten Verbesserungen an.

Im WDR-Fernsehen lehnte Jäger kurz darauf einen Rücktritt vehement ab. Auf die Frage nach persönlichen Konsequenzen aus den Übergriffen gegen Flüchtlinge sagte er am Abend in der "Aktuellen Stunde": "Es geht doch nicht um mich persönlich, es geht um viele Flüchtlinge, die nach Nordrhein-Westfalen kommen und denen wir eine sichere Unterkunft bieten müssen."

In mindestens drei Unterkünften - Burbach, Essen und Bad Berleburg - sollen private Sicherheitsleute Asylbewerber misshandelt haben. Innenminister Jäger hatte dazu im Landtag gesagt, es dürfe nicht zugelassen werden, dass Schutzsuchenden Unrecht geschehe, aber "diesem hohen Anspruch sind wir nicht gerecht geworden". Die Vorfälle seien "beschämend".

Kontrollteam soll Einhaltung der Standards prüfen

Die rot-grüne Regierung habe bereits erste "wirksame Maßnahmen" ergriffen, betonte Jäger - unter anderem soll eine zehnköpfige Taskforce darauf achten, dass Standards eingehalten werden. Es dürften außerdem nur noch Sicherheitsleute beschäftigt werden, die sich freiwillig von Polizei und Verfassungsschutz überprüfen lassen.

Kraft sagte zu, man werde jedem Verdacht nachgehen und die bekannten Fälle strafrechtlich verfolgen. Angesichts des starken Zustroms von Asylsuchenden seien Fehler gemacht worden.

"Bedauern ersetzt keine politische Verantwortung"

Die Äußerungen reichten CDU-Fraktionschef Armin Laschet nicht. "Sie haben mit Sicherheitsdiensten kooperiert, die Kriminelle angestellt haben - das ist das Problem", warf er Jäger vor. Obwohl es Hinweise auf die angespannte Lage in den Unterkünften gegeben habe, sei Jäger untätig geblieben. An die Ministerpräsidentin gerichtet fragte er: "Wollen Sie mit dieser Art eines Innenministers weiterarbeiten?" Es reiche nicht, wenn die Ministerpräsidentin sich betroffen zeige. "Bedauern ersetzt keine politische Verantwortung", sagte der Oppositionsführer.

FDP-Chef Christian Lindner forderte Jäger auf: "Wenn Sie noch einen Funken Ehre im Leib haben, dann stellen Sie Ihr Amt zur Verfügung." Der Minister sei für Menschenrechtsverletzungen mitverantwortlich. Piraten-Fraktionschef Joachim Paul warf Jäger vor, er habe sein Haus nicht im Griff. Statt Autofahrer beim Blitzmarathon zu kontrollieren, solle er lieber die Zustände in den Landesunterkünften überprüfen.

Unruhe wegen mutmaßlicher Veruntreuung von Taschengeld

Auch der neue Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki forderte Konsequenzen für die Unterbringung von Asylsuchenden. Großunterkünfte mit mehreren Hundert Menschen müssten die Ausnahme sein, sagte er dem "Handelsblatt". Außerdem müssten die Helfer in den Unterkünften darauf vorbereitet werden, mit den von Verfolgung, Krieg und Flucht geprägten Menschen umzugehen. "Wir dürfen die Helfer nicht alleinlassen, dann sind sie hilflos."

In der Essener Notunterkunft sorgte der Vorwurf für Unruhe, der Betreiber habe den Flüchtlingen zustehendes Taschengelder in Höhe von insgesamt 80 000 Euro veruntreut. Dieser Vorwurf sei haltlos, versicherte die Betreiberfirma European Homecare. Inzwischen habe man auf Anweisung der Bezirksregierung begonnen, das Taschengeld - drei Euro pro Tag - zu verteilen.

Pro Flüchtling 750 Euro monatlich

European Homecare, das neben den in die Kritik geratenen Notunterkünften in Burbach und Essen vier weitere Unterkünfte in NRW betreut, bekommt nach einer Schätzung des Arnsberger Vizeregierungspräsidenten Volker Milk normalerweise etwa 1,7 Millionen Euro im Monat vom Staat. Derzeit sei es aber noch deutlich mehr, weil in den sechs Unterkünften mehr als 3000 statt der vorgesehenen 2300 Flüchtlinge untergebracht seien, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Pro Flüchtling erhielten die Betreiber durchschnittlich 750 Euro im Monat. Davon müssten sie alle Kosten etwa für Miete, Verpflegung und Sicherheitspersonal bezahlen. (dpa)