Essen. . In keinem anderen Euro-Land arbeiten die Beschäftigten so viel zusätzlich wie in Deutschland. 37,7 Wochenstunden sind im Durchschnitt tariflich vereinbart. Tatsächlich fallen mehr als 40 Stunden an - und das oft unbezahlt. Am allerlängsten müssen laut Statistik allerdings die Griechen schuften.
Leistungsdruck und permanente Verfügbarkeit: Immer mehr Beschäftigte klagen über eine immer höhere Belastung in ihrem Job. Um das wachsende Arbeitspensum überhaupt zu schaffen, packen immer mehr Erwerbstätige Überstunden auf die tariflich ausgehandelte Wochenarbeitszeit – zunehmend unbezahlt. Im europäischen Vergleich ist Deutschland sogar Spitzenreiter der Überstunden.
Nach Erkenntnissen der EU-Kommission in Brüssel machen deutsche Arbeitnehmer mehr Überstunden als die Beschäftigten in den anderen 17 Euro-Ländern. „In keinem Land der Eurozone gibt es einen so großen Unterschied zwischen der tarifvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit und der tatsächlichen Wochenarbeitszeit wie in Deutschland“, sagte der zuständige EU-Sozialkommissar Laszlo Andor jetzt der Zeitung "Die Welt".
Laut der EU-Studie liegt die vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland bei 37,7 Stunden. Tatsächlich gearbeitet wird aber deutlich mehr, nämlich 40,5 Stunden.
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Griechen arbeiten am längsten
Auf dem Papier sind die Arbeitszeiten in Deutschland freilich nicht die höchsten in der Euro-Zone. Die europäische Statistikbehörde Eurostat hat die Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten jetzt für 2013 ermittelt. Der Durchschnitt aller Staaten liegt bei 41,3 Stunden. Spitzenreiter sind die Griechen mit 44,1 Wochenarbeitsstunden, gefolgt von Österreich (43,1) und Portugal (42,7).
Deutschland rangiert in dieser Tabelle mit 41,7 Stunden im Mittelfeld. In Frankreich fallen dagegen nur 40,7 Stunden an, in Italien sind es 40,4. EU-Kommissar Andor weist daraufhin, dass ein Vergleich der Arbeitszeiten schwierig ist. Jedes Land habe bei der Arbeitszeit seine Eigenheiten, so Andor. „Wichtig ist am Ende, dass das Land wettbewerbsfähig ist und dass die Vorgaben der EU-Arbeitszeitrichtlinie eingehalten werden – das ist in Deutschland im allgemeinen der Fall“, sagte er.
Immer mehr Arbeit in der gleichen Zeit
Wer wie viele Überstunden leistet, das unterliegt indes großen Schwankungen. Auch bei den Angaben über die Dauer der Mehrarbeit gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede. So ermittelte das Statistische Landesamt im Rahmen des Mikrozensus 2011, dass in NRW fast jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte Überstunden machte.
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2005 waren es mit 27,5 Prozent noch mehr, im Jahr 2000 mit 14,6 Prozent deutlich weniger. Bei einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) unter Handwerkern gaben 19 Prozent der Befragten an, sie leisteten pro Woche zehn und mehr Überstunden, nahezu Zweidrittel der Beschäftigten klagten, immer mehr in der gleichen Zeit schaffen zu müssen – und das schon seit Jahren.
6,9 unbezahlte Stunden kommen auf jeden Beschäftigten
Ein großes Problem in Deutschland ist zudem die wachsende Zahl unbezahlter Überstunden. Im aktuellen DGB-Index „Gute Arbeit“ gab ein Sechstel der Beschäftigten an, regelmäßig unbezahlte Mehrarbeit zu leisten.
Das zur Nürnberger Arbeitsagentur gehörende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat jetzt die unbezahlten Überstunden in Deutschland berechnet und sie den bezahlten gegenübergestellt. Danach leisten deutsche Arbeitnehmer im Durchschnitt spürbar mehr unbezahlte als bezahlte Mehrarbeit: Zwischen April und Juni 2014 häufte jeder Beschäftigte im Durchschnitt 6,9 unbezahlte Überstunden an, aber nur fünf bezahlte. Laut IAB fallen die meisten Überstunden im Bergbau und in Heilberufen an. Besonders große Unterschiede zwischen den Berufsgruppen gebe es aber nicht.
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Mehrarbeit hat sich halbiert
Im Langzeitvergleich sind bezahlte Überstunden jedoch auf dem Rückzug. Im Gegensatz zu unbezahlten. 1992 kamen auf jeden Arbeitnehmer rund 48 Überstunden im Jahr, 2013 waren es nur noch 20 Stunden. Innerhalb von zwei Jahrzehnten hat sich die bezahlte Mehrarbeit also mehr als halbiert.
IAB-Arbeitsforscher Enzo Weber führt die deutliche Veränderung in erster Linie auf die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle zurück, beispielsweise Arbeitskonten zum Abbau von Überstunden in beschäftigungsärmeren Zeiten. Eine vergleichbare Entwicklung gibt es bei den unbezahlten Überstunden nicht. Weber: „Die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr. Hier ist kein Trend zu erkennen.“