Edinburgh. Die Schotten müssen am 18. September die wohl schwierigste Frage für ihre Zukunft beantworten: Abspaltung oder weiter Teil Großbritanniens? Die Auswirkungen einer Unabhängigkeit wären auch für Großbritannien enorm.
Wenn die schottische Fußballnationalelf im Glasgower Hampden Park antritt, dann ist meistens das Ergebnis schlecht und die Stimmung der Fans gut. Letzteres besonders dann, wenn zeitgleich mit den Schotten die Engländer verloren haben. Die "Tartan Army", wie sich die schottischen Anhänger nach den Karomustern auf ihren Röcken nennen, gelten als besonders friedlich und freundlich und kennen nur einen Erzfeind: England.
Am 18. September steht ganz Schottland vor der Frage, ob die Trennung, die im Sport schon lange vollzogen ist, auf das ganze Land und die ganze Gesellschaft übertragen wird. "Soll Schottland ein unabhängiges Land werden?", fragt der Stimmzettel die rund 4,2 Millionen Wahlberechtigten. Unabhängig heißt: Losgelöst vom Staatsgebilde des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, in dem die Schotten seit dem Union Act von 1707 aufgegangen sind - nach mehreren zuvor erfolglosen englischen Versuchen der gewaltsamen Annexion.
Premier Cameron: "Ich bin nervös"
Oder mit anderen Worten: Am 18. September könnte das Vereinigte Königreich auseinanderfliegen. "Der Rest Großbritanniens würde geschockt sein, sollte aber eigentlich nicht überrascht sein, wenn der Enthusiasmus in Schottland genug Leute in die Wahlkabinen treibt, um einen knappen Sieg zu sichern", sagt etwa Kommentator Paul Mason vom Fernsehsender Channel 4.
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Der mehr als 300 Jahre währende Bund mit England und Nordirland könnte also mit einem Wahlgang dahin sein. Die Meinungsforscher sehen die Befürworter der Unabhängigkeit um Ministerpräsident Alex Salmond zwei Wochen vor dem Urnengang weiterhin im Hintertreffen - doch sie holen auf. Die Abstände werden knapper. Der britische Ministerpräsident David Cameron, dessen politisches Überleben im Falle eines "Yes" arg gefährdet erscheint, gab jüngst zu: "Ich bin nervös."
"Unabhängigkeit Schottlands ist eine realistische Alternative"
Nervös wurde Cameron allerdings reichlich spät. Als 2011 die schottischen Wähler mit einer absoluten Mehrheit im Regionalparlament für Salmonds Unabhängigkeitspartei SNP die Voraussetzungen für ein Referendum schufen, traf das Westminster völlig unvorbereitet. Salmond und seine Leute hatten schon sehr konkrete Pläne, etwa zum Wahlalter oder zur Formulierung der Fragestellung geschmiedet, als London die Möglichkeit einer Abspaltung Schottlands noch überhaupt nicht ernst nahm, wie parteiinterne Kritiker Camerons bemängeln. Auch die Meinungsforscher schwenken um. "Die Unabhängigkeit Schottlands ist jetzt eine realistische Alternative", sagt Peter Kellner, Chef des Instituts YouGov.
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Dabei wären die Folgen einer schottischen Unabhängigkeit für den Rest Großbritanniens - je nach Einstellung des jeweils urteilenden Experten - schwerwiegend bis verheerend. Großbritannien würden die Steuereinnahmen aus der Erdölindustrie praktisch komplett wegbrechen. Allein die schottischen Whisky-Brennereien zahlen derzeit jährlich eine Milliarde Pfund in die Londoner Steuerkasse ein, die dem Schatzkanzler ab 2016 fehlen würde. Die Suche nach einem neuen Hafen für die 160 auf britischen U-Booten stationierten Atom-Sprengköpfe würde weitere Milliarden verschlingen.
Camerons Tory-Partei in Schottland mehr als unpopulär
Cameron steht während der gesamten Kampagne vor dem Problem, dass seine konservative Tory-Partei in Schottland mehr als unpopulär ist. In Schottland konnten die Tories bei der Wahl 2010 nur einen Parlamentssitz erringen. So musste er die Anti-Unabhängigkeitsdebatte vom schottischen Labour-Mann Alistair Darling führen lassen. Dessen Wahlkampf wurde von Londoner Tories teils als "komatös" gegeißelt. Immerhin ließen sich eine Reihe englischer Prominenter wie Mick Jagger, Paul McCartney oder Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling für den Zusammenhalt des Landes einspannen. Aufseiten der Unabhängigkeitsbewegung konterten Prominente wie James-Bond-Darsteller Sean Connery oder Tennis-Star Andy Murray.
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Die "Yes"-Kampagne von Alex Salmond versucht es vor allem aber mit Lautstärke. Salmond musste seine Leute erst jüngst zurückpfeifen, weil sie die Kundgebungen der Gegner störten. Als Autorin Rowling sich für den Verbleib ihrer Wahlheimat bei Großbritannien aussprach, hagelte es Drohungen im Internet. Die anglikanische Kirche von Schottland hat für den Sonntag nach dem Referendum bereits zu Versöhnungsgottesdiensten eingeladen.
Die Gefahr, die auch Soziologen sehen: Die Unabhängigkeitsdebatte könnte in Schottland einen tiefen Riss quer durch die Gesellschaft verursachen - selbst durch einzelne Familien. Experten wie YouGov-Chef Kellner vermuten, dass die Debatte auch bei einer knappen Niederlage der Unabhängigkeitsbewegung nicht ersterben wird. "Wenn das Ergebnis irgendwo da liegt, wo jetzt unsere Umfrageergebnisse liegen, würde ich nicht viel Geld darauf wetten, dass es in den nächsten zehn bis 15 Jahren kein zweites Referendum gibt", sagt Kellner. (dpa)