Essen. . Laut einer Bertelsmann-Studie möchten zwei von drei Deutschen auch abseits von Wahlen politisch mitentscheiden. In Essen sind 80 Prozent für Bürgerentscheide. Das Problem dabei: Bei Politikern ist es umgekehrt: Die wenigsten möchten die Bürger mitentscheiden lassen.
Der Bürgerentscheid gegen Duisburgs Bürgermeister Adolf Sauerland 2012 und der Entscheid gegen den Neubau der Essener Messe im Januar waren die beiden spektakulärsten Fälle im Ruhrgebiet, bei dem sich der Bürgerwille gegen parlamentarische Mehrheiten durchsetzen konnte. Zwei Drittel der Deutschen wünschen sich mehr solcher Fälle direkt vom Volk ausgeübter Demokratie, so eine repräsentative Studie der Bertelsmann-Stiftung, die unserer Redaktion vorab zur Verfügung gestellt wurde.
In 27 Städten wurden jeweils 100 Wähler über 18 Jahre befragt, außerdem sprachen die Wahlforscher mit der „Gegenseite“, dem Bürgermeister, Ratsvertretern und Mitgliedern der Stadtverwaltung. Im Ruhrgebiet fiel die Wahl auf Essen. Für die Stadt ist die Stichprobe wegen der zu geringen Zahl nicht repräsentativ, wohl aber für die Republik.
Demnach ist Zustimmung der Menschen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid mit 80 Prozent fast genauso hoch wie zu Wahlen (82). Und in Zukunft sollte das Volk nach seiner eigenen Meinung mehr an Entscheidungen beteiligt werden. Bei den gewählten Politikern ist es umgekehrt: Sie geben auch in Zukunft der repräsentativen Demokratie, in der sie entscheiden, klar den Vorzug. Nur 37 Prozent sind der Meinung, ihre Bürger könnten in wichtigen Fragen mitentscheiden.
Kein Rezept gegen Wahlmüdigkeit
80 Prozent der Politiker verstehen ihr Mandat als unabhängig von den Wünschen der Bevölkerung, was diese wiederum nur zu 43 Prozent richtig findet. Die Bürger wollen durch Wahlen ihr Mitbestimmungsrecht nicht für Jahre komplett aus der Hand geben, sagt der Leiter der Bertelsmann-Studie, Robert Vehrkamp. Dabei gehen Wähler wie gewählte gleichermaßen zu drei Vierteln davon aus, dass Bürgerbeteiligung das Gemeinwohl fördert statt behindert. Außerdem herrscht Einigkeit, dass Bürgerbeteiligung Fehlplanungen verhindere. Dass die Kosten für Bürgerbefragungen nicht gut angelegt sind, daran glaubt etwa in Essen nur eine Minderheit von neun Prozent der Befragten.
Die direkte Demokratie stärkt grundsätzlich die Akzeptanz in der Bevölkerung für politische Entscheidungen. Über zwei Drittel akzeptieren unliebsame Entscheidungen eher, wenn sie zuvor angehört worden sind. Wichtig ist aber, dass die Beteiligung ernsthaft durchgeführt wird, sonst wenden sich die Bürger enttäuscht und wütend ab.
Gegen sinkende Wahlbeteiligungen scheint mehr direkte Bürgerbeteiligung jedoch nur bedingt zu wirken. Die wachsende Fraktion der Nichtwähler ist laut der Bertelsmann-Studie anscheinend auch an basisdemokratischen Entscheidungen wenig interessiert.