Dinslaken/Essen.. Vom Niederrhein ins Ruhrgebiet 33,4 Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit – ist das eine Sommer-Option für staugeplagte Pendler? Ein Selbstversuch, der an Grenzen führt: Die Beine sind schwer nach zweieinhalb Stunden. Pendler-Profis machen es umgekehrt: Mit dem Zug zur Arbeit, zurück mit dem Rad.
In Essen-Bergeborbeck macht sich erstmals eine gewisse Radlosigkeit breit. Ich muss absteigen und schieben. Das Experiment, mit dem Fahrrad 33,4 Kilometer vom Wohnort Dinslaken zur Redaktion nach Essen zu fahren, steht vor dem Scheitern. Es ist heiß, 34 Grad. Als es morgens um 9 Uhr am Niederrhein begann, war es noch kühl. Und flach.
Mit seiner Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ will der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) Pendler zum Umsteigen bewegen. Im vergangenen Jahr haben in NRW 174.000 Arbeitnehmer mitgemacht. Sie legten 24,9 Millionen Kilometer zurück und sparten so 4,9 Millionen Kilogramm CO2 ein. Dieses Jahr sollen es mehr werden. Denn 2014 ist ein Baustellen-Jahr. Aber ist das Rad nach der Vollsperrung der A59 wirklich eine Option für staugeplagte Pendler?
Im Ruhrgebiet geht es voran mit dem Radwege-Ausbau
Ein Selbstversuch. Der Weg durch Dinslaken ist kein Problem, Heimvorteil bis zur Emscher, an der Halde vorbei kann man das Emscherklärwerk schon riechen. Barmingholten links liegen lassen und dann am Fluss entlang. Der Emscherradweg ist noch nicht durchgängig befahrbar, aber es wird. Die Strecke führt unter der A3 hindurch. Links wachsen Brombeeren. Sie sind reif, aber es ist zu früh für eine Pause. Es duftet nach frisch geschnittenem Gras, die Apfelbäume hängen voller Früchte. Das Leben ist schön.
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Das Ruhrgebiet, hat Ulrich Kalle vom ADFC gesagt, hat durch den zunehmenden Fahrrad-Tourismus gewonnen. 12.000 Kilometer Freizeit-Netz hat NRW. Die Emscherroute gehört dazu. Bis zu 80 Prozent kann der Neu- und Umbau von Radwanderwegen vom Land und der Europäischen Union gefördert werden. Auch deshalb geht es voran mit dem Ausbau. Die Wege zeigen das Ruhrgebiet, wie man es aus der Seitenscheibe des Autos nicht wahrnimmt: ruhig, unaufgeregt, grün.
Rhein-Herne-Kanal – das schönste Stück der Tour
Und heute unfassbar warm. Die Sonne brennt, die Schatten sind so scharf zu sehen, als wären sie aus schwarzem Stoff geschnitten. Einer der heißesten Tage des Jahres baut sich vor mir auf – und die A 42. Der Radweg macht einen Bogen und führt ein Stück unterhalb der Trasse entlang. Die Autos rauschen über den Radweg hinweg, jemand hat den Bauzaun umgetreten. Und doch war die Autobahn noch nie so wunderbar – sie spendet Schatten.
Hinter dem Niederrhein-Stadion von Rot-Weiß Oberhausen wartet der Rhein-Herne-Kanal – das schönste Stück der Tour. Paddler ziehen ihre Bahnen, es geht vorbei am Gasometer, dem Klettergarten, dem Aquapark. Noch 3,3 Kilometer bis Essen-Dellwig. Also rüber über die Brücke, der Baum vor Haus Ripshorst streift sanft über die Schulter.
Hinter Haus Ripshorst beginnt die Wirklichkeit. Einmal falsch abgebogen und schon endet der Radweg im Gewerbegebiet an der Ripshorster Straße. Schluss mit Genuss. Auf der Liste der 10.000 schönsten Ecken von Essen wird diese keine Erwähnung finden. Irgendwie ein heißes Pflaster, nicht nur bei 34 Grad.
Radweg? Keiner da
An der Kreuzung zur Donnerstraße fährt die Straßenbahn Richtung Hauptbahnhof in der Mitte der vierspurigen Straße. Rechts und links parken Autos. Radweg? Keiner da. Es gibt auch keines dieser roten Radwegeschilder mehr. Der Radwegeplan „Mittleres Ruhrgebiet“ zeigt eine rote Linie durch Gerschede, aber der Weg ist nicht zu finden.
Noch neun Kilometer – und ein großer Fehler: Ich folge den Schildern Richtung Zentrum, Sattelschlepper rauschen vorbei, ich fahre auf dem Bürgersteig. Er ist menschenleer, aber nicht im besten Zustand. Vor den Bushaltestellen liegt Glas. Der Weidkamp führt bergab, links der letzte Kohlenwagen der Zeche Christian Levin, geradeaus die Alte Bottroper.
Dann auf die Bottroper, auch kein Radweg, sondern ein Bürgersteig, den Radfahrer mit benutzen dürfen. Der aufgeplatzte Asphalt macht den Weg zur Buckelpiste. Ulrich Kalle vom ADFC hatte gewarnt: „Für die Instandhaltung der kommunalen Radwege muss die Stadt sorgen, dafür gibt es keine Zuschüsse. Und die meisten Städte haben kein Geld.“
Hin zur Arbeit mit dem Zug, zurück mit dem Rad
Hinter der Hafenstraße zieht und zieht sich der Weg, die Zeit hat sich in Sirup verwandelt. Es geht aufwärts – nur ein Hügel, natürlich. Aber irgendjemand muss den Radweg senkrecht an die Wand genagelt haben. BERGEborbeck, Villa HÜGEL, na klar. Wer hatte diese Schnapsidee mit dem Fahrrad? Und warum hat der neue Berthold-Beitz-Boulevard, der so breit ist, dass Jumbo Jets auf ihm landen könnten, keine eigene Radspur? Ulrich Kalle sagt, neue Straßen müssten von außen nach innen geplant werden. Bürgersteig, Radweg, Straße. Warum hat das keiner den Boulevardbauern gesagt?
Die Beine sind schwer, aber die Redaktion ist in Sicht. DA! Nach zweieinhalb Stunden, nassgeschwitzt und platt. Die Konferenz um 12 verschwitze ich deshalb.
Pendler-Profis machen es deshalb anders herum. Hin zur Arbeit mit dem Zug, zurück mit dem Rad, denn zu Hause kann man duschen. Und: „Fünfmal“, sagt Vielradler Volker Horrich, sei er die Strecke von der Arbeit in Duisburg-Stadtmitte nach Voerde gefahren, ehe er eine gute Strecke gefunden hatte, die er mit dem Rad nehmen kann. 27 Kilometer, eineinhalb Stunden. So lange die A59 gesperrt ist und die Sonne scheint, eine echte Option, sagt er.
Vielleicht probiere ich es noch mal. Vielleicht auch nicht.