Dortmund. . Die Deutsche Bahn will aus Kostengründen die traditionsreichen Autoreisezüge abschaffen und Zugverbindungen streichen. In Dortmund stehen über 100 Arbeitsplätze der „DB European Railservice“ auf der Kippe. Die Eisenbahner sind sauer.

Sie wollen kämpfen. Für den Erhalt von Autoreise- und Nachtzügen. Und um ihre Jobs. Adnan Gök (51), Manuel Jeuken (40), Ralf Muhmann (43) und 120 weitere Eisenbahner in Dortmund haben Angst, bald auf der Straße zu stehen oder zu Niedriglohn aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Darum sammeln sie Unterschriften, verteilen Flyer an Fahrgäste, möchten sogar die Kanzlerin um Hilfe bitten.

Der Spruch, den sich die Beschäftigten der „DB European Railservice“ (DB ERS) ausgedacht haben, erinnert an die „gute alte Bahn“, die bei jedem Wetter fuhr. Aber die aktuelle Botschaft ist kein Kompliment. „Alle reden von Europa – die Bahn nicht“, dürfte auf Flugblättern stehen, die unter die Leute gebracht werden sollen. Die Eisenbahner sind sauer, ihre Wut muss raus.

Tatsache ist: Die Bahn verabschiedet sich bis 2017 komplett von ihrem Klassiker Autoreisezug und plant, ihre Nachtzugverbindungen auszudünnen. Als erstes sollen Ende 2014 die Verbindungen nach Kopenhagen und Paris wegfallen und Amsterdam nur noch mit Süddeutschland und der Schweiz verbunden werden, nicht mehr mit Berlin, Prag und Warschau. Die Mitarbeiter in Dortmund haben Briefe von der DB ERS-Geschäftsführung bekommen, die ihre schlimmsten Befürchtungen übertrafen. Um die Standorte in München, Hamburg und Berlin zu erhalten, müsse die Zentrale in Dortmund „zum Ende des Jahres“ dichtmachen. 20 Millionen Euro Verlust im Nachtreisezug-Geschäft sollen es allein im Jahr 2013 gewesen sein. Einziger Ausweg laut Bahn: Notbremse ziehen.

„Diese Hilflosigkeit macht uns kaputt"

Die Mitarbeiter fühlen sich von dieser Nachricht überfahren. Zwei Betriebsversammlungen hat es gegeben, es flossen Tränen, es wurde laut. „Diese Hilflosigkeit macht uns kaputt. Das ist wie in einer Ehe, wenn der Partner nach Jahren sagt: Ich lasse mich scheiden“, erklärt Nachtzug-Begleiter Manuel Jeuken, seit zwölf Jahren Eisenbahner in Dortmund. Der Mann mit Tattoos und Backenbart sieht aus wie ein eisenharter Junge. Aber die Nerven liegen auch bei ihm blank.

Auch interessant

Es kursieren Gerüchte, die Bahn beschleunige sogar den Niedergang des Nachtzug-Geschäfts. Fahrgäste erzählten von Verbindungen, die plötzlich nicht mehr buchbar sind. Mitarbeiter sprechen von Wagen, die spärlich besetzt sind, obwohl sie laut Buchung voll sein sollten. „Jeuken: Manche Linien wurden bewusst unattraktiv gemacht. Ein Zug braucht von Düsseldorf bis Narbonne, Südfrankreich, 19 Stunden. Das ging früher viel schneller.“

Adnan „Adi“ Gök, Service-Chef, ist ein Urgestein unter den Nachtzug-Profis. Seit 1981 nachts auf Tour durch Europa. Dieser Job ist sein Leben, und es gibt eine Menge Kollegen, die mit ihm auf 10, 20 oder 30 Jahre zurückschauen können. „Die meisten haben als Student oder Aushilfe hier angefangen und sind hängen geblieben“, erklärt Ralf Muhmann. Bei ihm war es auch so.

„Adi“ Gök hat Unglaubliches erlebt auf seinen Reisen durch den Kontinent. Menschlich Erwärmendes wie die friedliche Begegnung eines Israelis, eines Palästinensers und eines Amerikaners, die das Schicksal in einem Schlafwagenabteil zusammenführte. Abgründiges wie Taschendiebe und Bewaffnete im Zug. Und sie sind stolz, mehr zu tun als ihre Pflicht. Zum Beispiel bei der Geschichte mit der Babynahrung. „Das Essen war unerreichbar im Auto, das Baby war mit seinen Eltern im Zug. Da haben wir es mit Telefon und Taxifahrern geschafft, in Würzburg Baby-Brei in einer Nachtapotheke zu organisieren“, erinnert sich Gök. Es sind „Gute-Bahn-Geschichten“, die diese Männer erzählen. Aus Zeiten, in denen die Gäste ihr Frühstück noch auf Porzellan-Geschirr bekamen.

Die Furcht vor dem Niedriglohn

„Das Reiseverhalten hat sich verändert“, begründet eine Bahn-Sprecherin die Schließungs-Pläne. Billigflieger und günstige Mietwagen setzten die Nachtzüge unter Druck. „Die sind seit Jahren defizitär“, heißt es. Alle Mitarbeiter von DB ERS in Dortmund würden im Falle der Schließung in die konzerneigene Beschäftigungssicherung kommen und „soweit möglich“ neue Jobangebote erhalten. Doch die Kollegen trauen dem Braten nicht. „Dort bekommt man neun Monate sein Grundgehalt und dann schrittweise immer weniger“, sagen sie. Zu wenig, um davon existieren zu können.

„Wir sollten in Deutschland endlich aufhören, die Bahn kaputt zu sparen“, wettert Manuel Poblotzki, Betriebsratsvorsitzender von DB ERS in Dortmund. „Bei aller wirtschaftlichen Selbstverantwortung der Deutschen Bahn hoffe ich, dass es letztlich kein politischer Wille ist, den europäischen Nacht- und Autoreisezugverkehr Zug um Zug abzuschaffen.“ Senioren, Behinderte, Familien, Geschäftsreisende, Motorradfahrer und Rucksackreisende bräuchten diese Angebote.