Tel Aviv/Gaza. Israel macht offenbar ernst mit der angedrohten Verschärfung der Luftangriffe im Gazastreifen. Menschen im Norden des Gebiets sollen ihre Häuser verlassen. Palästinenserpräsident Abbas will vermitteln. Die Zahl der Toten durch israelische Luftangriffe ist offenbar auf 203 gestiegen.

Nach dem Scheitern einer Waffenruhe in Nahost geht das Blutvergießen im Gazastreifen weiter. Die Zahl der Toten bei israelischen Luftangriffen stieg am Mittwoch auf 203, wie der Sprecher der örtlichen Rettungsdienste, Aschraf al-Kidra, über Twitter mitteilte. 1520 Menschen seien seit Beginn der Offensive vor acht Tagen verletzt worden. Bei einem Angriff mit Mörsergranaten auf den Erez-Grenzübergang war am Dienstag erstmals ein Israeli getötet worden.

Der israelische Rundfunk meldete am Mittwoch, Israels Luftwaffe habe in der Nacht das Haus von Mahmud al-Sahar und anderen Hamas-Führern im Gazastreifen bombardiert. Eine Armeesprecherin in Tel Aviv sagte, man prüfe den Bericht.

Israel hat Bewohner im nördlichen Gazastreifen zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert. Dies sollte "zu ihrer eigenen Sicherheit" geschehen, teilte das Militär mit. Zivile Opfer bei Luftangriffen gegen Stellungen der islamistischen Hamas sollen so vermieden werden.

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Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat für Mittwoch eine Ausweitung des Einsatzes angekündigt, nachdem eine Feuerpause lediglich sechs Stunden währte. Das israelische Sicherheitskabinett tagte bis zum frühen Morgen. Die Luftwaffe griff Medienberichten zufolge in der Nacht Häuser führender Hamas-Mitglieder an.

Die Hamas werde "einen hohen Preis bezahlen"

Netanjahu warf der Hamas am Dienstagabend vor, Israels einseitige Feuerpause zu ignorieren. Nun werde die Miliz dafür "einen hohen Preis bezahlen". UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Hamas auf, sich an die von Ägypten vorgeschlagene Waffenruhe zu halten. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas reist am Mittwoch nach Kairo, um doch noch eine Feuerpause zu vermitteln.

Der gegenseitige Beschuss hält seit einer Woche an. Netanjahu ließ offen, ob nun israelische Bodentruppen in den Küstenstreifen am Mittelmeer einmarschieren. Dies fordert Außenminister Avigdor Liebermann, der als Scharfmacher im Kabinett gilt. "Wir wollen die Infrastruktur des Terrors zerstören. Daher kann man diese Militäraktion nicht nur aus der Luft betreiben", sagte er. Israelische Beobachter hielten es aber weiter für möglich, dass beide Seiten doch noch einen Waffenstillstand vereinbaren.

Stellvertretender Verteidigungsminister entlassen

Inmitten des eskalierten Gaza-Konflikts entließ Netanjahu den stellvertretenden Verteidigungsminister Danny Danon. Anlass war laut einem Bericht der "Jerusalem Post" die Kritik des Politikers der rechten Regierungspartei Likud an der einseitigen Feuerpause Israels. Danon hatte dies einen "Schlag ins Gesicht" für alle israelischen Bürger genannt.

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Israel hatte ab Dienstagvormittag sechs Stunden lang seine Luftangriffe einseitig gestoppt. Die Hamas aber feuerte weiter Dutzende Raketen Richtung Israel, weil sie sich von der diplomatischen Initiative Ägyptens für die Feuerpause übergangen sah. Nachmittags setzte dann die israelische Armee ihre Attacken fort.

Steinmeier-Besuch von dem Konflikt überschattet

Ägyptens Fahrplan für eine Waffenruhe sah neben einer Feuerpause vor, Grenzübergänge für Menschen und Güter zu öffnen, sobald sich die Sicherheitslage stabilisiert. Das Wechselbad geweckter und zerronnener Friedenshoffnungen überschattete auch den Besuch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der Region. Der SPD-Politiker hatte zuvor Netanjahu, Lieberman und Abbas getroffen.

Das israelische Militär zählte bis zum späten Dienstagabend 141 Raketenabschüsse aus dem Gazastreifen. In der Hafenstadt Aschdod wurde ein Haus direkt getroffen. Nach Aufhebung der einseitigen Feuerpause berichtete das israelische Militär, die Luftwaffe habe 30 Bombenangriffe geflogen, von denen 20 Raketenstellungen gegolten hätten.

Mehr als 1000 Raketen auf Israel abgefeuert

Israel hat in den vergangenen sieben Tagen nach eigenen Angaben inzwischen 1576 Hamas-Ziele angegriffen. Die Hamas hat demnach wiederum mehr als 1000 Raketen auf Israel abgefeuert. Nur knapp 200 davon wurden vom israelischen Abwehrsystem abgefangen, die meisten übrigen schlugen in unbewohntem Gebiet ein.

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Inzwischen haben rund 10.800 Palästinenser in Gaza-Stadt aus Angst vor den Bombenangriffen Zuflucht in 16 Schulen des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) gesucht. Weitere 7000 seien im Norden in fünf Unterkünften untergebracht, berichtete UNRWA-Sprecher Chris Gunness. Die Organisation verteilt nach eigenen Angaben täglich Essen an mehr als 830.000 Menschen, also knapp die Hälfte der Einwohner des Küstenstreifens.

Auslöser der jüngsten Eskalation der Gewalt waren die Entführung und Ermordung von drei israelischen Teenagern und der mutmaßliche Rachemord an einem palästinensischen Jungen. Eine 2012 vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas, die seit 2007 im Gazastreifen herrscht, wurde daraufhin endgültig Makulatur. (dpa)