Kiew. . Die Lage im ostukrainischen Konfliktgebiet spitzt sich weiter zu. Die Zahl der Toten steigt vor allem in Donezk. Erstmals gibt es nun wohl auch einen Toten auf russischem Gebiet. Russland droht der Ukraine mit einer Reaktion.
Moskau schäumt vor Wut nach ersten zivilen Opfern eines Granateinschlages auf russischem Staatsgebiet vom Sonntagmorgen. Russland werde „angemessen“ reagieren, aber die Konsequenzen für die Ukraine seien „unumkehrbar“, drohte am Mittwoch Vize-Außenminister Grigori Karasin. Bereits haben erste russische Politiker nach Luftschlägen gegen die Ukraine gerufen. „Dies ist totaler Schwachsinn“, konterte ein ukrainischer Armeesprecher und sprach von einer Provokation der Separatisten.
Laut russischen Agenturberichten schlugen in der russischen 50.000-Einwohnerstadt Donezk am Sonntagmorgen mehrere von ukrainischem Staatsgebiet aus abgefeuerter Granaten ein. Eine davon traf den Innenhof eines Privathauses und tötete dort einen 47-jährigen Mann. Eine 80-jährige Frau wurde bei dem Einschlag schwer verletzt.
Das russische Donezk - nicht zu verwechseln mit der rund 150 Kilometer westlich gelegenen gleichnamigen ukrainischen Millionenstadt - befindet sich in unmittelbarer Nähe des seit Tagen von pro-russischen Separatisten und der ukrainischen Armee umkämpften Grenzübergangs Izwarino. Dieser befindet sich rund 30 Kilometer südöstlich der ukrainischen Gebietshauptstadt Lugansk und wurde von den Separatisten lange benutzt, um über die dort gut ausgebaute Europastraße neue Kämpfer und Kriegsgerät aus Russland in den Donbass zu holen.
Ukraine beschuldigt ihrerseits Russland, den Abschuss von Raketen zuzulassen
Der „Vize-Premier“ der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“, Andrei Purgin, bezichtigte am Sonntag in Übereinstimmung mit Russland die ukrainische Armee des Raketenangriffs auf russisches Gebiet. Die Separatisten hätten zuwenig Munition für so etwas, sagte Purgin. Die Regierung in Kiew hat inzwischen die Meldung in aller Form dementiert. Laut ukrainischen Angaben kommt es stattdessen seit mehreren Tagen immer wieder zum Beschuss von Grenzdörfern auf ukrainischer Seite aus Russland. Erst am Samstag seien im Dorf Marinowka sechs Zivilisten dabei getötet worden, berichtete Armeesprecher Lysenko. Laut der Tageszeitung „Nowosti Donbassa“ wurden ukrainische Grenztruppen am Samstag auch beim Dorf Selenopolje von russischem Gebiet aus mit Raketen beschossen. Dabei sollen 7 Soldaten getötet und 33 verletzt worden sein. Das Außenministerium in Kiew übermittelte deswegen am Samstag eine scharfe Protestnote nach Moskau.
Neben dem heftig umkämpften Grenzstreifen kam es am Sonntag vor allem südlich von Lugansk zu Gefechten. Dabei berichteten lokale ukrainische Blogger über zwei Panzerkolonnen und viele tschetschenische Kämpfer auf Seiten der Separatisten. Das lokale Internetportal „0642“ hatte bereits am Samstag berichtet, bei Lugansk seien zwei offenbar aus Russland stammende Militärfahrzeugkolonnen mit Raketenwerfern und T-90 Panzern beobachtet worden.
Vormarsch auf Donezk und Lugansk
Zuvor hatten die ukrainischen Regierungstruppen den Belagerungsringe um die ukrainische Grubenstädte Donezk und Lugansk weiter zusammen gezogen. Dabei sollen in der Nacht zum Samstag laut ukrainischen Angeben mehr als Tausend pro-russische Separatisten „unschädlich gemacht“ worden sein. Allein in der ostukrainischen Stadt Dscherschynsk, rund 30 Kilometer nördlich von Donezk, sollen 500 Rebellen getötet worden sein. Der regierungsfreundliche Militärexperte Dmitri Timtschuk widersprach indes diesen hohen Opferzahlen auf seiner Facebook-Seite. Er könne schon seit Tagen die Regierungszahlen nicht mehr bestätigen, schreibt Timtschuk.
In mehreren Außenquartieren von Donezk sind am Wochenende Granaten eingeschlagen. Laut Angeben des Rathauses kamen dabei allein am Sonntagmorgen neun Zivilisten – darunter ein zehnjähriges Kind – ums Leben. Der Pressedienst des Rathauses meldete sowohl am Samstag wie Sonntag „eine unruhige Nacht“. Die städtischen Verkehrbetriebe würden weiterhin fahren, jedoch gemäß den ausgedünnten Fahrplänen, hieß es am Samstag. Linie 50 und 80 würden „aus Sicherheitsgründen“ eingestellt. Die Wartezeiten an den Straßensperren der „Volksrepublik Donzek“, der ukrainischen Nationalgarde und Armee an den Ausfahrtsstraßen im Süden betrügen bis zu zweieinhalb Stunden, werden reisefreudige Stadtbewohner vorgewarnt.
In Donzek haben die Schulferien begonnen und viele würden gerne an die lokale „Riviera“ bei Mariupol zum Baden fahren – zumal das Wetter ab Montag wieder heiß und sonnig sein soll. Doch unter den Reisenden dürften sich immer mehr Flüchtlinge befinden. Aleksandr Borodaj, der selbst ernannte „Premierminister“ der „Volksrepublik Donezk“ spricht von 70.000 alleine aus Donezk, wo sich noch 900.000 Bewohner aufhalten sollen. Nachprüfbar sind diese Zahlen nicht. In Kiew beschuldigte das Verteidigungsministerium derweil die pro-russischen Separatisten, sie verhinderten eine Flucht der Zivilbevölkerung, um diese als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.