Essen. Immer weniger Nachwuchsforscher streben eine wissenschaftliche Karriere an. Die Zahl der Habilitationen, mit der die Lehrbefugnis nachgewiesen wird, sank um 32 Prozent. Von 2012 auf 2013 ging die Zahl erneut um fünf Prozent zurück. Experten fordern die Politik auf, mehr für den Nachwuchs zu tun.
Zu langwierig, zu unsicher, zu aufwendig und mies bezahlt – immer weniger Nachwuchswissenschaftler wollen den steinigen Weg bis zur Professur auf sich nehmen. Die Zahl der Habilitationen, mit der Wissenschaftler ihre Lehrbefähigung nachweisen und sich auf eine Professur bewerben können, sank in den letzten zehn Jahren um ein knappes Drittel. 2302 Habilitationen registrierte die Statistik im Jahr 2002, im vergangenen Jahr waren es noch 1567. Von 2012 auf 2013 ging die Zahl um fünf Prozent zurück.
Experten sind alarmiert, warnen vor der Abwanderung talentierter aber frustrierter Jungforscher ins Ausland oder in die Wirtschaft und fordern die Politik auf, sich endlich besser um den Forschernachwuchs zu kümmern.
Im Schnitt 41 Jahre alt
Akademische Lebensläufe gleichen einem Roulette-Spiel. Wer auf lange Sicht und mit festen Bezügen an einer Hochschule bleiben will, der muss eine Professur anstreben. Im Schnitt ist der Kandidat dann 41 Jahre alt und hat eine lange Liste von Zeitverträgen gesammelt und viele Ortswechsel hinter sich. Nicht nur die Karriere ist bis zur ersehnten Berufung unsicher, auch eine Familienplanung ist riskant. „Wissenschaft als Beruf ist nicht mehr attraktiv“, sagt Matthias Jaroch vom Deutschen Hochschulverband, der Standesvertretung der Professoren, dieser Zeitung.
Statistiker erklären den Sinkflug bei den Habilitationen zum Teil mit der „Juniorprofessur“. Statt einen dicken Wälzer zu schreiben, sollen sechs Jahre Lehren und Forschen für den Professorenstuhl qualifizieren. Doch ob dies am Ende tatsächlich passiert, ist offen. Daher verfassen viele Juniorprofs dennoch eine Habilitationsschrift.
Prekäre Lage der Jung-Forscher
Hoch motiviert und qualifiziert, doch schlecht bezahlt und auf wackeligem Posten – so stellt sich die Lage der zukünftigen akademischen Elite dar. Sie haben eine Doktorarbeit geschrieben, arbeiten an ihrer Habilitation, halten Vorlesungen, forschen im Labor, waren im Ausland und haben Preise und Stipendien erhalten. Doch unterhalb der raren Professur haben sie wenig Chancen auf eine Dauerstelle. Dabei schultern gerade die wissenschaftlichen Mitarbeiter einen großen Teil der Belastung durch die explodierende Zahl der Studierenden.
„Es ist unanständig, wie mit den Nachwuchswissenschaftlern umgegangen wird“, empörte sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse bedrohten bereits die „Kontinuität und Qualität der Wissenschaft in Deutschland“. Der Bochumer Physiker Nils Gerhardt hat diese Ochsentour hinter sich gebracht. Er weiß, „nicht jeder kann Professor werden. Aber es ist Quatsch, gut ausgebildete Leute auf die Straße zu schicken.“ Wie viele seiner Kollegen fordert er mehr unbefristete Stellen für den Nachwuchs: „Zwischen totaler Unsicherheit und Professur muss es etwas geben.“
Nachholbedarf in NRW
Tendenz sinkend – so lautet auch in NRW die Bilanz bei den Habilitationen. Um 6,2 Prozent sank die Zahl im vergangenen Jahr. Über alle Universitäten gesehen bestätigt sich der Trend: Ob Aachen, Bonn, Bochum oder Bielefeld – die Zahlen sinken landesweit. Der Grund für den Rückgang liege wohl vor allem in der sinkenden Bedeutung der Habilitation, vermutet das NRW-Wissenschaftsministerium. Auch andere Wege führten zur Professur. Doch mag auch Geld eine Rolle spielen. Ein Professor muss sich um immer mehr Studierende kümmern. Das Verhältnis beträgt mittlerweile im Durchschnitt eins zu 63, in NRW etwa eins zu 80. Während etwa Niedersachsen 12 000 Euro pro Student investiert, sind es in NRW 7550 Euro.
„Gerade NRW muss aktiv werden“, sagt Jaroch. „Die Politik ist aufgerufen, akademische Karrieren planbarer zu machen. Es müssen zusätzliche Professorenstellen geschaffen werden.“ Insgesamt fehle den Hochschulen Geld. Die 280 Millionen Euro, die NRW nun pro Jahr spart, da der Bund das Bafög komplett finanziert, seien ein schöner Anfang.