Istanbul. 25.000 Polizisten haben Demonstrationen zum Jahrestag der Gezi-Proteste in Istanbul unterbunden. Wasserwerfer und Tränengas gehören unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan schon fast zum Alltag - dabei war der Protest mit Rufen wie “Überall ist Taksim, überall ist Widerstand“ friedlich.
Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstranten: Das gehört in der türkischen Wirtschaftsmetropole Istanbul fast schon zum Alltag. Der Samstag aber war kein Tag wie jeder andere: Es jährte sich die gewaltsame Räumung eines friedlichen Protestlagers im Gezi-Park. Zum Jahrestag ging die Polizei erneut massiv gegen Demonstranten vor. Ein Team des amerikanischen Fernsehsenders CNN, das über die Proteste berichten wollte, wurde festgenommen.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich hatte davor gewarnt, sich an Demonstrationen zum Jahrestag der Gezi-Proteste zu beteiligen. Hier hatte vor einem Jahr eine Gruppe von Umweltschützern gegen Erdogans Pläne protestiert, den Park am Rande des Taksim-Platzes mit einem Einkaufszentrum zu bebauen.
Die Niederschlagung des Protestes löste eine Welle von Massendemonstrationen gegen die Regierung aus, die in den Wochen hernach das ganze Land überrollte. Bei den damaligen Protesten wurden sieben Menschen getötet und Tausende verletzt.
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Zu den Demonstrationen am Jahrestag hatte die Organisation Taksim-Solidarität aufgerufen. Die Sicherheitskräfte hätten strikte Order, neue Demonstrationen zu verhindern, warnte Erdogan: „Sie werden alles tun, was notwendig ist, von A bis Z.“
Fähren gestoppt, U-Bahn geschlossen
Nach Medienberichten hatte die Regierung am Wochenende 25.000 Polizisten und 50 Wasserwerfer rund um den Taksim-Platz in Stellung gebracht. Die Umgebung wurde weiträumig abgeriegelt. Sogar der Fährverkehr über den Bosporus wurde eingestellt, U-Bahnstationen waren geschlossen, um Demonstranten daran zu hindern, in die Nähe des Platzes zu gelangen. Dennoch erreichten mehrere hundert überwiegend junge Leute die beliebte Einkaufsstraße Istiklal Caddesi in der Nähe des Platzes. Sie demonstrierten friedlich mit Sprechchören wie „Überall ist Taksim, überall ist Widerstand“ – bis die Polizei die Demonstranten mit Wasserwerfern und Tränengas auseinandertrieb.
Nach Angaben der türkischen Menschenrechtsorganisation wurden dabei elf Menschen verletzt. Die Polizei meldete 120 Festnahmen. Die Zeitung „Hürriyet Daily News“ veröffentlichte im Internet „Zehn Horror-Szenen am Gezi-Jahrestag“. Nummer drei ist ein Video, auf dem zu sehen ist, wie Polizisten wie von Sinnen auf einen Demonstranten einprügeln.
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Auch in anderen Städten kam es anlässlich des Gezi-Jahrestags zu Demonstrationen. In Ankara wurden neun Demonstranten verletzt, zwei durch Tränengaskanister, die Polizisten auf die Menschen abfeuerten.
Immer massiver versucht die türkische Polizei, die Berichterstattung über die Proteste zu behindern. In Istanbul wurde der Reporter des US-Senders CNN, Ivan Watson, während einer Live-Übertragung am Taksim-Platz von Polizisten in Zivil festgenommen und abgeführt. Watson zeigte zwar seinen türkischen Presseausweis vor. Den akzeptierten die Beamten aber nicht, weil er „gefälscht“ sein könnte.
Gewaltbereitschaft steigt
Er sei bei der Festnahme von Polizisten getreten worden, berichtete Watson. Ein Beamter stellte sich mit dem Rücken vor die CNN-Kamera, ein anderer zerstörte das Mikrofon, um die Übertragung zu verhindern. Watson wurde später freigelassen.
Doch nicht nur die Polizei geht rabiat vor – auch aufseiten der Demonstranten hat die Gewaltbereitschaft zugenommen. Vielen von ihnen scheint es nicht vorrangig um mehr Demokratie, sondern um Straßenschlachten mit der Polizei zu gehen. Auch Molotow-Cocktails gehören inzwischen zum Repertoire der Aufrührer.