Washington. . In einer Geheimoperation wurde Sergeant Bowe Bergdahl nach fünf Jahren in der Hand von Taliban gegen Guantánamo-Häftlinge ausgetauscht. Für die Befreiung ihres letzten Kriegsgefangenen in Afghanistan setzte das US-Militär ganz auf Risiko. Das Weiße Haus inszenierte die Befreiung wie eine Geschichte.

Die gelben Solidaritäts-Schleifen an den Bäumen entlang der Hauptstraße von Hailey leuchteten gestern mit der Sonne um die Wette. In dem 6000 Einwohner zählenden Nest im US-Bundesstaat Idaho ist Bowe Bergdahl aufgewachsen. Ein sensibler Skifahrer und Naturbursche, wie ihn Freunde beschreiben. Als ­Jugendlicher tanzte er Ballett im „Nussknacker“. Um „anderen zu helfen“, ging er mit 23 als Soldat nach Afghanistan. Zwei Monate nach seiner Stationierung, am 30. Juni 2009, geriet der Sohn von Jani und Bob Bergdahl an der Grenze zu Pakistan in Gefangenschaft der Taliban. Jetzt, nach fünf Jahren, ist Bergdahl wieder frei.

Mit regelmäßigen Gedenkveranstaltungen und einer eigenen Internetseite hielt das Dorf stets die ­Erinnerung an ihn wach. Als sich am Samstagabend die Nachrichten von der hollywoodreifen Freilassung vom Rosengarten des Weißen Hauses aus ins ganze Land verbreiteten, flossen nicht nur in Hailey die Freudentränen.

US-Spezialtruppen waren, so will es die nicht überprüfbare ­Erzählung des Pentagon, an einen geheimen Ort in die Provinz Khost im Grenzgebiet zu Pakistan geflogen, um den „verlorenen Sohn“ nach fast fünf Jahren Isolation in Empfang zu nehmen. Noch als der Mann im Hubschrauber saß, soll er ungläubig zwei Buchstaben und ein Fragezeichen auf ein Blatt Papier geschrieben haben: „SF?“.

Gute Nachricht, patriotischer Pomp

Das Kürzel steht für Special ­Forces – Spezial-Einsatzkräfte. Ein US-Soldat soll genickt und in den Lärm der Rotoren hinein gebrüllt haben: „Ja, wir haben schon lange nach dir gesucht.“ Bergdahl brach danach in Tränen aus. Wie auch seine Eltern, denen von Präsident Barack Obama erst telefonisch und später zur besten Sendezeit vor den TV-Kameras im Weißen Haus die gute Nachricht mit patriotischem Pomp überbracht wurde.

Nach dem inszenierten Happy-End, dem monatelange Geheimverhandlungen vorangegangen ­waren, liegen Euphorie und Ernüchterung in Washington nah beieinander. ­Obama, Verteidigungsminister Chuck Hagel und Martin Dempsey, der Chef der Streitkräfte, preisen die Aktion als Beispiel für Amerikas „unerschütterliche Verpflichtung, keinen Mann oder ­keine Frau in Uniform auf dem Schlachtfeld zurückzulassen“.

Vater sprach mit den Taliban

Etlichen Republikanern aber ist der Preis für den Gefangenenaustausch entschieden zu hoch. Nicht nur habe Obama den Kongress ­vorab nicht informiert, wettert der ­Sicherheitsexperte Mike Rodgers. Die Freilassung im Gegenzug von fünf hohen Taliban-Funktionären aus Guantánamo, die allesamt „das Blut von Amerikanern und vielen Afghanen an ihren Händen kleben haben“ (Senator John McCain), könne islamistischen Netzwerken weltweit als Betriebsanleitung für die Entführung weiterer US-Sol­daten dienen.

Noch ein kleiner Schatten liegt über dem Fall. In E-Mails unmittelbar vor seiner Entführung soll sich der in Abwesenheit zweimal beförderte Soldat erschüttert über die­ Ignoranz geäußert haben, mit der Amerika in Afghanistan zu Werke geht. In US-Medien kursierte die Theorie, Bergdahl habe sich ­womöglich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden und mehr oder weniger freiwillig in die Hände des Feindes begeben.

Vater Bob schrieb Petitionen am laufenden Band

Was Vater Bob sich nicht vorstellen kann. Seit dem Tag der Entführung hat er sich nicht mehr rasiert, schrieb Petitionen am laufenden Band, trat vor zwei Jahren bei einer Demonstration in der Hauptstadt vor 100 000 Menschen als wütender Redner in der Sache seines Sohnes auf und lernte, um selbst mit den Taliban zu sprechen, Pashtu, die Sprache der Mehrheits­bevölkerung in Afghanistan.

„Wir können es nicht erwarten, unseren einzigen Sohn in die Arme zu schließen“, gab sich Vater Bergdahl jetzt nach der Freilassung ­demütig. Nach einem Zwischenstopp im deutschen US-Militärkrankenhaus Landstuhl soll Bergdahl nach San Antonio (Texas) verlegt werden. Dort wird er eingehend untersucht und ­befragt.