Golf von Aden. Das Flugzeug rollt pünktlich um 05.50 Uhr zur Starbahn und startet in Richtung Westen zur Mission „Jester 73“. Der 63 Tonnen schwere Seefernaufklärer „Orion P-3C“ wird acht Stunden in der Luft bleiben.

Er wird eine Flugstrecke von 1 000 Meilen zwischen den Küsten Somalias und des Jemen zurücklegen. Die viermotorige P-3C der deutschen Marine ist eines von vier mit sensibler Elektronik vollgestopften Aufklärungsflugzeugen, die in einem Seegebiet von der neunfachen Größe Deutschlands im Rahmen der EU-Schutzmission „Atalanta“ den Schiffskorridor zwischen Arabien und Afrika kontrollieren. Sie sollen die Seewege am Horn von Afrika gegen Piratenüberfälle sichern.

In der griechischen Mythologie war die heldenmütige Jungfrau Atalanta bei der Jagd auf einen wilden Eber beteiligt, der die Felder des Königs von Kalydon verwüstete und das Vieh schlachtete. Ob die erste maritime Operation der EU die Kaperfahrten der somalischen Seeräuber beenden kann, bleibt auch nach der Freilassung des deutschen Container-Frachters „Hansa Stavanger“ und dem letzte Woche vereitelten Überfall auf ein türkisches Handelsschiff durchaus zweifelhaft. 111mal haben Piraten im vergangenen Jahr im Golf von Aden, durch den 90 Prozent des globalen Welthandels gehen, Schiffe angegriffen und zu entführen gesucht.

Ich habe vor dem Start – die „Sicherheitseinweisung“ schreibt das vor - die Schwimmweste Nr. 77 zugewiesen bekommen und auch die Fallschirmweste übergestreift, falls wir die Propellermaschine in großer Höhe verlassen müssen. Meinen zaghaften Einwand, ich sei noch nie mit einem Fallschirm gesprungen, pariert der Kommandant Wolfgang R. mit dem nicht wirklich beruhigenden Hinweis: „Runter kommen Sie schon. Sie müssen nur die rote Strippe rechtzeitig ziehen. Das Wasser ist einigermaßen warm – und spätestens in einem halben Tag ist irgendein Schiff da".

Auf der Autobahn

An diesem frühen Morgen ist das Meer unter uns tiefblau und glatt. Wir haben eine Geschwindigkeit von 350 Knoten und eine Höhe von 9 500 Fuß erreicht. Über die Bordlautsprecher lassen sich die Gespräche der beiden Piloten und des Navigators, aber vor allem die Stimme des „Tacco“, des Technischen Koordinators verfolgen: Der ist der Regisseur unseres Kontrollfluges, hat zwei Laptops und einen Monitor vor sich, auf dem mehr als drei dutzend grüne und gelbe vierstellige Zahlen zu erkennen sind: „Das sind die Schiffe auf der Autobahn“, sagt der 33jährige Kapitänleutnant Ulrich G., „die grünen sind uns gemeldet, die gelben fordern wir auf, sich zu identifizieren“. Auf der Autobahn sind – wie auf einer Perlenkette – die dicht hinter- oder nebeneinander fahrenden Schiffe zu erkennen.

Aus der Pilotenkanzel ist nicht ein Schiff mit bloßem Auge zu sehen. „Die sind noch sechs Meilen von uns entfernt“, erklärt der Navigator, „aber mit unserer Kamera können wir sie heranzoomen“. Der Radar-Operator steuert die unter der Flugzeugnase installierte Bordkamera: „Sehen Sie, da fährt ein Tanker“, sagt der 35jährige Bootsmann in seinem sandfarbenen Overall. Ich staune: Man erkennt deutlich die Aufbauten des Schiffes und sieht sogar drei Gestalten an Deck. Die eine trägt einen Eimer. Den Schiffsnamen liest der Operator über Infrarot: „Es ist ein Koreaner“, meldet er.

Piratenalarm

Um 07.34 Uhr Ortszeit blinkt auf dem Monitor ein roter Punkt auf: Alarm! Ein nicht gemeldetes Schiff, 58 Seemeilen entfernt. „Mit 300 Knoten sind wir in sechs Minuten da“, höre ich den Co-Piloten über den Lautsprecher. Ein falsches Signal oder ein Piratenangriff? Eine türkische Fregatte bittet um Aufklärung. Die elf Mann und eine Frau der eingespielten P 3C-Crew bleiben ruhig. Sie fliegen alle zwei Tage Patrouille. Jedes Mal ein anderes Einsatzgebiet im Golf, zugeteilt vom Comander Task Force an Bord der Fregatte Numancia, dem derzeitigen Flaggschiff der EU-Armada. Dort laufen, unter dem Kommando eines spanischen Admirals, alle Fäden der operierenden Kriegsschiffe und Flugzeuge zusammen, im engsten Kontakt mit dem OHQ, dem Operational Headquarter der Mission Atalanta in Northwood bei London.

Die Sicht ist hier draußen durch die hohe Luftfeuchtigkeit oder auch einen Sandsturm ziemlich begrenzt. Kein Problem für die Bordkamera: Sie streift über das Wasser. Auf dem Monitor kein verdächtiges Objekt weit und breit. Also Fehlalarm? Nein wir haben Probleme mit den Computern – wie zu Hause! Der Chef-Elektroniker Bodo F. aus Husum flucht. „Ich sehe einen weißen Fleck“, brüllt plötzlich einer der beiden Marinesoldaten, die Backbord wie Steuerbord mit Ferngläsern über die Bullaugen des Aufklärers Ausschau halten. Ja, man bedient sich des menschlichen Auges zur Aufspürung verdächtiger Schiffe. Sicher ist sicher.

Aus einer Höhe von 10 000 Fuß, etwa 6 000 Metern, sehen wir auf dem wieder intakten Monitor aus drei Seemeilen Entfernung eine Dhow auf den Wellen tanzen. Ist das eines der typisch arabischen Fischerboote oder nicht? Drei Männer sind zu sehen. „Wir gehen runter“, ruft der Tacco dem Piloten zu. Unsere Position: 13 Grad, 27 Minuten Nord, 47 Grad, 57 Minuten Ost. Der Radar-Operator gibt Entwarnung: „Die holen gerade ihr Netz aus dem Wasser“. Also Fischer.

Die kleinen Dhows oder flinken Speed-Boote, derer sich die Piraten meist bedienen, sind vom Radar einer Fregatte in den meisten Fällen nicht zu orten. Deshalb die Kooperation mit den Seeaufklärern der deutschen, amerikanischen und spanischen Marine. Um 09.17 Uhr ist es soweit: Ein Skiff schießt durch die leichten Wellen, vier Männer stehen hintereinander. Der Radar-Operator Hartmut G. will eine Leiter an Bord des ca. sechs Meter langen Speed-Bootes ausgemacht haben. Wozu brauchen die Fischer, die hier Thunfische fangen, eine Leiter? Gute Frage. Dann ruft er aufgeregt: „Die haben Waffen, ja das sind Panzerfäuste“.

„Runter!“, brüllt der Tacco, dem einer seiner Kameraden gerade einen heißen Kaffee aus der improvisierten Bordküche serviert hat, „sie sollen uns sehen!“ Wir legen die Schwimmwesten an. „Warum?,“ frage ich ganz naiv. „Weil wir im Tiefflug gerade Mal 30 Meter über dem Meer fliegen werden und im Notfall kaum noch Zeit haben, die Westen anzulegen!“, klärt mich ein Kaleu auf. Klar Mensch! Die Weste zwickt. Wir sind so tief, dass wir das Meer mit den Händen greifen können. Ein mulmiges Gefühl.

Sie haben uns schon gesehen: Die Leiter und sechs Panzerfäuste haben sie über Bord geworfen. Das Piraten-Skiff dümpelt nun dahin, die vier vermutlichen Freibeuter sitzen – und winken uns zu! „Kann sein oder auch nicht“, sagt Kommandant Wolfgang R., „dass wir da was verhindert haben“. Wie es auch sei: Die präventive Wirkung, die von der EU-Armada zweifellos ausgeht, wird in keiner Statistik erfasst. Sie dürfte erheblich sein, da derzeit über dreißig Kriegsschiffe die im Jahr von mehr als 20 000 Handelsschiffen befahrene Route zwischen Somalia und dem Jemen passieren.

Im Geleitzug

„Wir raten den Reedern, sich im Geleitzug zu bewegen“, sagt Fregattenkapitän Holger F. vom Marine-Unterstützungskommando in Dschibuti. „Kein Pirat hat ein eskortiertes Schiff anzugreifen gewagt“. Doch die Reeder drängen aufs Tempo: Sie lassen ihre Kapitäne kürzere – und gefährlichere – Routen fahren, mit dem Risiko, dass ihre Besatzungen mit Waffengewalt in die versteckten Buchten des Somali-Beckens verschleppt werden. Dann beginnt ein zähes Gefeilsche um Lösegelder, das umso länger dauert, je hartleibiger die leichtsinnigen Reeder – wie im Fall der vier Monate fest gesetzten Hansa Stavanger – den Preis drücken möchten und die Besatzung leiden lassen. Doch erst wenn ein Kleinflugzeug das versiegelte Geldpaket ins Meer vor der Küste der Staatsruine Somalia plumpsen lässt, können die traumatisierten Seeleute auf ihre Freilassung hoffen.

Die Piratenheimat Somalia bleibt ein umkämpftes Territorium zwischen konkurrierenden Clan-Milizen, islamistischen Gotteskriegern und einer schwachen Übergangsregierung, deren Einfluss kaum über die Hauptstadt Mogadischu hinaus reicht. Das geschundene ostafrikanische Land braucht wenigstens Spuren von Staatlichkeit, vor allem eine Polizei und eine Küstenwache, um die Ziele der EU-Mission Atalanta zu flankieren. Aber daran mag keiner der in der Sicherheit seiner Seefahrt bedrohten Staaten wirklich zu denken: So reich an Risiken die Erstürmung eines gekaperten Handelsschiffes ist, so gefahrvoll wäre eine militärische Intervention in diesem gescheiterten Staat. An das Desaster ihres Einsatzes mit Soldaten in Somalia Anfang der 90er Jahre mögen die beteiligten westlichen Staaten nur höchst ungern erinnert werden.

Als wir nach acht Stunden den Flugplatz von Dschibuti im Blick haben, hat die Crew des deutschen Seeaufklärers 17 verdächtige Schiffe registriert, fotografiert und an das spanische Flaggschiff der Operation Atalanta weiter geleitet. Jetzt muss der Flug ausgewertet werden. Nur Stunden später, nachts um drei, beginnt die Vorbereitung für die nächste Patrouille. Routine? Eher eine professionelle Pflicht von Spezialisten, die ihren Job beherrschen.

In die Hoheitsgewässer Somalias dringt die deutsche Marine mit ihren beiden Fregatten Brandenburg und Rheinland-Pfalz sowie dem Seeaufklärer Orion P-3C übrigens prinzipiell nicht ein. Andere Partner sind da skrupelloser. Frankreich bestückt seine Fischtrawler vor der fischreichen Küste Somalias mit bewaffneten Marinesoldaten. Die um ihr Einkommen gebrachten einheimischen Fischer sind dank der Raubfischerei etlicher Länder, darunter neben Frankreich Indien, Japan und Russland, inzwischen zu Piraten geworden. Die werden nun von jenen Nationen bekämpft, die ihre Kriegsschiffe in den Golf von Aden geschickt haben. Das soll noch einer begreifen . . .