Essen. . Im „Europa-Atlas“ der grünen Böll-Stiftung wird der ESC in höchsten Tönen gelobt. Eine „Börse der europäischen Wertschätzung soll er sein, anti-nationalistisch, fair und auch konsensfördernd. Europa kann von dem schnulzigen Wettstreit also eine Menge lernen.
Lauschen Linke, Grüne und Intellektuelle am Samstag ins Finale des European Song Contest? Die wollen von den geträllerten Lebensbeichten und Liebesschwüren, die 2013 rund 170 Millionen Europäer vors TV gelockt haben, wenig wissen. Die zappen weg. Glauben viele.
Das ist falsch. „European Song Contest. Ein Erfolgsmodell“, feiert die Böll-Stiftung der Grünen den schnulzigen Schlagerwettbewerb der Eurovision. Warum? Weil „der ESC als Börse der europäischen Wertschätzung gilt“. Die Wertung ist ein Zitat aus dem „Europa-Atlas. Daten und Fakten über den Kontinent“, den die grüne Stiftung gemeinsam mit Le Monde Diplomatique, der Gesellschaft für Auswärtige Politik und dem European Council of Foreign Relations herausgibt.
Die Autoren des Statistik-Werks sind voll Lob für den Song-Event. Sie sehen darin sogar ein Vorbild. „Nirgendwo sonst versammeln sich die Europäerinnen und Europäer so gleichberechtigt und entspannt zum Miteinander und gegeneinander wie beim ESC. Es geht um viel Pop und auch um Politik.“
ESC zieht mehr Publikum als die Europawahl
Um Politik? Ralf Fücks, Chef der Böll-Stiftung, findet einen gewagten Vergleich: Samstag würden wohl mehr Europäer vor dem Bildschirm sitzen als in drei Wochen zur Europawahl gehen. Tatsächlich ist einiges dran, was die Atlas-Redaktion aufgeschrieben hat:
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Der Song-Contest ist politisch fair. „Jedes Land, sei es noch so klein wie San Marino oder Malta, hat das gleiche Stimmgewicht wie jeder der Big Five, der Hauptgeldgeber Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Griechenland.“
Der Song-Contest ist ein Bollwerk gegen den Nationalismus. „Kein Land darf mit Jury- oder Televotingmacht für sich selbst stimmen. Man muss, um Meinungen und Vorlieben zu bekunden, für andere sein. Für das Andere. Für das europäisch Andere. Direkter Nationalismus wird unterlaufen“.
Siegen ist nur im europäischen Konsens möglich
Der Song-Contest ist wie die europäische Politik bei ihren Gipfeltreffen gestrickt. „Nachbarländer schustern sich gerne Punkte zu. Die postjugoslawischen. Die nordeuropäischen. Die postsowjetischen. Doch wer gewinnt, kann dies nicht allein mit den Stimmen der Verbündeten schaffen. Erst der europäische Konsens einer Nacht kürt den Sieger oder die Siegerin“.
Dänin gewinnt ESC
Grafiken belegen das: Wer für wen stimmt. Wer wann gewonnen hat. Wer am ESC teilnehmen darf. Doch gerade die Grafiken zeigen eine nordwesteuropäische Vormachtstellung, wenn es um das Siegerlied geht.
Fröhliche Schlager im finsteren Franco-Spanien
Gewinner ist: Sehr oft Irland. Sieben Mal holte die Insel den Cup. Danach folgt eine Gruppe fünffacher Sieger aus Großbritannien, Frankreich, Luxemburg, Schweden. Deutschland schneidet im Vergleich zu seiner finanziellen Unterstützung eher mau ab: Ganze zwei Mal stand was Deutsches oben auf dem Treppchen. Genau so miserabel wie Spanien und Italien. Schlechter als Israel, das hier – anders als bei der EU – mitmachen darf.
Wir erfahren auch etwas über politisch unkorrekte Dinge – wie die Ausrichtung des Wettbewerbs 1969 in Madrid, wo Diktator Franco herrschte – und über Unterschiede zur EU. Ist das Geld knapp, dürfen nationale Sender pausieren. „Das ist vielleicht der größte Unterschied von ESC und EU“, finden die Autoren. www.boell.de/europa-atlas