Ürümqi. Chinas Westen kommt nicht zur Ruhe: Viele Uiguren fühlen sich unterdrückt. Peking will den Konflikt mit Wirtschaftshilfe entschärfen, aber schickt immer mehr Polizisten. Die Spannungen sind überall in den Straßen von Ürümqi zu spüren.

Mit aufmerksamem Blick mustert der Militärpolizist die vorbeiziehenden Passanten. Den Schlagstock trägt er griffbereit an seinem Gürtel. Zusammen mit zwei Kollegen hat er drei große Schutzschilder aus Plastik wie eine Mauer auf dem Bürgersteig in der Stadt Ürümqi in der nordwestchinesischen Unruheregion Xinjiang um sich aufgebaut. "Hier darf nicht draußen gebetet werden. Und das kontrollieren wir", erklärt er. In den vergangenen Tagen hätten immer wieder Muslime in der Öffentlichkeit gebetet, aber das sei verboten.

Nirgendwo im Riesenreich China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen prallen die Unterschiede zwischen der Mehrheit der Han-Chinesen und den muslimischen Uiguren so stark aufeinander wie in Xinjiang. Wie in Tibet sitzen die Vorbehalte auf beiden Seiten tief. Aber während Tibeter weitgehend friedlich gegen die Zentralregierung und Han-Chinesen protestieren oder sich selbst anzünden, sind die Konflikte mit Uiguren oft blutig. Erst im März erstachen mit langen Messern bewaffnete Uiguren 29 Menschen im Bahnhof der Metropole Kunming in Südwestchina.

Im Süden von Ürümqi liegt das größte uigurische Viertel. Viele der Läden haben nur Schilder in arabischen und nicht in chinesischen Schriftzeichen. Eine 22 Jahre alte Medizinstudentin schlendert über einen Kleidermarkt. "Ich fühle mich wie eine Fremde im eigenen Land", klagt sie. Ständig werde sie eingeschränkt: "An der Uni darf ich nicht beten, kein Kopftuch oder lange Kleider tragen."

"Wie eine Fremde im eigenen Land"

Die muslimische Uigurin fühlt sich nicht wohl. Gerne würde sie im Ausland studieren - besonders in der Türkei, weil Uigurisch der türkischen Sprache sehr ähnlich sei. Denn zu Hause habe sie manchmal Angst. "Die Regierung sagt, dass uns die Polizei beschützt, aber ich fühle mich kontrolliert."

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Soldaten mit Schnellfeuergewehren bewachen den Eingang zum Gelände der Provinzregierung. In einem maroden Betongebäude grübeln die obersten Politiker über den weiteren Weg für Xinjiang. "Wir müssen uns alle als Chinesen begreifen. Wir sind ein Land und gehören alle zusammen", sagt Vize-Gouverneur Huang Wei. Seit Jahren versucht die Zentralregierung, die Konflikte in Xinjiang mit Wirtschaftshilfe zu lösen. Aber die blutigen Zwischenfälle reißen einfach nicht ab. "Wir müssen uns noch mehr anstrengen", sagt Huang.

Aber Fachleute zweifeln, ob sich die Spannungen in Xinjiang mit Geld lösen lassen. Ganz im Gegenteil: Die Forscherin Zhang Lijuan von der Xinjiang Normal University in Ürümqi macht sogar das Geld und das Wirtschaftswachstum mit für Konflikte verantwortlich. "Das schafft Ungleichgewicht. Manche Menschen werden sehr schnell reich und andere bleiben arm", sagt sie.

Aber die Wirtschaftshilfe aus Chinas reichen Metropolen zeigt auch positive Wirkung. Zwar kommen mit dem Geld auch viele Han-Chinesen nach Xinjiang, aber auch Uiguren finden gute Arbeitsplätze. Eine 50 Jahre alte Bankangestellte erzählt begeistert von ihrem Arbeitgeber. "Es gibt wirklich gute Aufstiegschancen", sagt sie. Aus einfachen Verhältnissen hat sie sich aus der Stadt Kashgar hochgearbeitet bis in die Bankzentrale von Xinjiang in Ürümqi.

Der Islam finde nur im Kopf statt

Anpassung ist vielfach der Preis für eine Karriere. Wer bei Staatsunternehmen oder der Regierung aufsteigen will, kann nur noch eingeschränkt seinen muslimischen Glauben praktizieren. "Den Glauben kann man zu Hause oder in seinem Kopf ausleben, aber nicht in der Öffentlichkeit", sagt Vize-Gouverneur Huang. Es gebe keine Gebetspausen für Regierungsangestellte. Auch in Krankenhäusern klagen muslimische Patienten immer wieder, dass sie nicht beten dürften.

Xinjiang habe das höchste Pro-Kopf-Verhältnis von Moscheen zur muslimischen Bevölkerung, kontert Huang. In ganz China gibt es offiziell 35 000 Moscheen mit 45 000 Geistlichen. Beide Seiten müssten Opfer bringen, sagt der Vize-Gouverneur. "Wir Han-Chinesen verzichten hier ja auch oft auf Schweinefleisch." (dpa)