Berlin. . Praktisch jeder Finanzierungsvorschlag zur Erneuerung und Reparatur maroder Brücken und löcheriger Straßen in Bund, Ländern und Gemeinden ist zum Scheitern verurteilt. Jetzt fordert Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig eine Pauschal-Gebühr von Autofahrern. Das Geld soll in einen Fonds “Reparatur Deutschland“ fließen.

Schlaglöcher, marode ­Brücken – Realität auf deutschen Straßen. „Wir haben ein Problem“, meint Reinhard Meyer. Das könne „inzwischen jeder sehen“, glaubt der Schleswig-Holsteiner, der die Konferenz der Verkehrsminister anführt. In schöner Regelmäßigkeit fordern Meyer und seine Kollegen vom Bund Geld für die Sanierung von Straßen, Schienen und Wasserwegen. Am Montag befeuerte Meyers Chef Torsten Albig (SPD) die Debatte mit der Forderung nach einer Sonderabgabe für Autofahrer.

Nicht nur der Ministerpräsident beklagt, dass Deutschland auf Verschleiß regiert wird. Bis Anfang Juli will Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Vorschläge für eine Pkw-Vignette machen. Die Debatte kommt. Ein Überblick.

Was treibt Albig um?

Die Große Koalition konnte sich nur auf eine Pkw-Maut allein für Ausländer einigen. Albig bezweifelt, dass dies EU-rechtskonform ist und genug Geld einbringen würde. Er schlägt einen Nebenhaushalt vor, einen Fonds „Reparatur Deutschland“. Die Autofahrer ­sollen eine Sondergebühr zahlen, etwa 100 Euro im Jahr, und zwar so lange, „bis wir wieder heile Straße haben“, erklärte er in der „Welt“.

Was sagen die Rechnungsprüfer? 

In der Osterwoche hatte der Bundesrechnungshof ein Gut­achten veröffentlicht, das zur ­Debatte über mehr Geld für Straßen passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. „Viele Bundesfern­straßenprojekte werden teurer als zunächst geplant“, beklagen die Rechnungsprüfer. Sie haben die Straßenbauver­waltung untersucht und kamen zum Ergebnis, dass das Kostenmanagement des Bundesverkehrsministeriums „nicht befriedigend ist“. Baumaßnahmen würden „fachlich nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorbereitet“. Der Baugrund werde nicht ausreichend untersucht, für die Projektplanung fehlten Preisdatenbanken. „Sofern die Preise nachvollziehbar waren, waren diese häufig nicht aktuell.“

Der Bund muss sich auf die Auftragsverwaltung der Länder ver­lassen und tut sich nach der Analyse schwer, bei der Fachaufsicht die ­Projektkosten zu kontrollieren.2004 hatte der Bundesrechnungshof erstmals auf die Defizite hingewiesen und schon damals eine Abkehr vom föderal geprägten Auftrags­system verlangt. Zehn ­Jahre später stellt die Behörde ­lakonisch fest: „Das Bundesverkehrministerium hat diese Empfehlung nicht unterstützt.“

Warum stellt die Bundesregierung nicht mehr Mittel zur Verfügung? 

SPD und Union haben verabredet, bis 2017 fünf Milliarden Euro mehr als in der letzten Legislaturperiode bereitzustellen. Diese Mittel seien ein „Tropfen auf den heißen Stein“, so Albig: Gebraucht würden jährlich sieben Milliarden Euro.

Wie kommt Albig auf diese Summe?

Auf jährlich 7,2 Milliarden Euro beziffern die Verkehrsminister den Sanierungsstau. Bei ihnen hat Albig den Vorschlag abgeschaut, ein Sondervermögen zu bilden. Meyer und Co nennen es „nachholende Sanierung“. Flotter klingt Albigs „Reparatur Deutschland“. Ähnlich Töne kennt man aus der Wirtschaft, selbstredend auch von der Bahn. Dobrindts Amtsvorgänger Peter Ramsauer (CSU) hatte immer ein Beispiel aus dem Schienennetz parat: 9000 der 28 000 Brücken seien über 100 Jahre alt.

Aber nicht nur die CSU treibt die Debatte voran. Man dürfe nicht zusehen, „wie die öffentliche Infrastruktur auf Verschleiß läuft und wie Straßen, Brücken oder auch kom­munale Gebäude vor die Hunde ­gehen“, sagte Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) in seiner ersten Regierungserklärung. Im Wahlkampf hatte er darüber geklagt, aber nicht um eine Maut zu erheben, sondern um höhere Steuern begründen zu können. Und sie wurde darin von linken Ökonomen bestärkt, etwa vom Würzburger Professor Peter Bofinger, der auch im Sachverständigenrat höhere Steuern für die Verkehrsinfrastruktur forderte.

Wie wird aus der Forderung nach mehr Haushaltsmitteln der Ruf nach einer Sonderabgabe, nach der Maut? 

Das hat mit Macht zu tun. „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“ – zu dem „Machtwort“ hatte sich Kanzlerin Angela Merkel im TV-Duell mit ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück verleiten lassen. Flugs hat Merkel es relativiert. Die Koalition einigte sich darauf, die Lkw-Maut auszuweiten und ­darüber hinaus sicherzustellen, dass es keine Mehrbelastung der Autofahrer in Deutschland geben werde.

Als Trost packte man aus dem Haushalt jene fünf Milliarden zusätzlich für Investitionen drauf. Da vor allem die Union gleichzeitig auf einen ausgeglichenen Haushalt Etat pocht, gibt es keine Sach­lösung ohne einen Wortbruch, entweder einen von Merkel („keine Maut“) oder von Finanzminister Wolfgang Schäuble: Seine angestrebte schwarze Null wäre Makulatur, müsste er weitere Milliarden für Investitionen bereitstellen.

Kann man mit der Maut Wahlkämpfe gewinnen? 

Die CSU machte es in Bayern vor. aber unter den besonderen Bedingungen im Freistaat. Österreich verlangt eine Maut – das ärgert die Bayern. Albig fürchtet nicht, sich unbeliebt zu machen: „Wer Angst hat, abgewählt zu werden, weil er für reparierte Straßen zusätzlich 100 Euro im Jahr von den ­Menschen verlangt, der wird ­irgendwann abgewählt, weil die­selben Menschen nicht mehr über unsere Straßen vernünftig zur Arbeit fahren können.“

Wie sind die Reaktionen auf Albigs Forderungen? 

Bie Politikern stößt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Albig mit seiner Forderung nach einer Sonderabgabe auf einhellige Ablehnung. Auch aus seiner eigenen Partei erntet er Kritik. Der Vorschlag sei aus sozialdemokratischer Sicht "völlig inakzeptabel", schrieb der SPD-Haushaltspolitiker Joachim Poß auf seiner Facebook-Seite.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nannte den Vorstoß "verwunderlich". In den Koalitionsverhandlungen hätten sich die Sozialdemokraten zunächst gegen eine Pkw-Maut für Ausländer gesträubt, sagte er der "Passauer Neuen Presse". "Jetzt kommt Ministerpräsident Albig und will die bereits stark belasteten deutschen Autofahrer noch mit einer zusätzlichen Gebühr zur Kasse bitten. Das ist der falsche Weg. Dafür gibt es in der schwarz-roten Koalition keine Mehrheit."

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte der "Mitteldeutschen Zeitung": "Wir wollen keine Sonderabgaben für den Bürger mehr." Der Staat müsse lernen, mit den bestehenden Einnahmen auszukommen. "Und die waren noch nie so hoch wie heute." Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger": "Jetzt sollen die Autofahrer mit schmaler Brieftasche dafür zahlen, dass die große Koalition falsche Schwerpunkte im Bundeshaushalt setzt."

Grünen-Fraktionschef für Ausweitung der Lkw-Maut

Linke-Chef Bernd Riexinger vermutete in den "Ruhr Nachrichten", die große Koalition wolle gleich nach den Landtagswahlen im Herbst eine allgemeine Pkw-Maut auf den Weg bringen. "Der Schlaglochfonds ist eine Maut für alle nach österreichischem Vorbild." Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter machte sich in den "Ruhr Nachrichten" für eine Ausweitung der Lkw-Maut und eine klare Prioritätensetzung bei Verkehrsprojekten stark. "Nicht jeder Wahlkreis braucht eine neue Umgehungsstraße."

Der SPD-Haushaltspolitiker Poß wies darauf hin, dass die Sozialdemokraten im Wahlprogramm 2013 eine höhere Besteuerung von Vermögenden und Spitzenverdienern beschlossen hätten. Das solle unter anderem Investitionen in die Infrastruktur ermöglichen. Die Forderung sei weiterhin aktuell, auch wenn sie in großen Koalition nicht durchzusetzen sei. Der rheinland-pfälzische Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) lehnte in der "Bild"-Zeitung ebenfalls eine weitere Belastung der Autofahrer ab. "Schon heute nimmt der Staat über Steuern, Maut, Gebühren mehr von den Autofahrern ein, als er über Investitionen zurückgibt." (mit dpa)