Istanbul. . Dem Premier steht der Aufstieg ins höchste Staatsamt offen. Präsident Gül schließt einen Ämtertausch nach russischem Vorbild aus. Auch die Opposition wird Erdogan nicht bremsen können. Denn ein überzeugender Gegenkandidat ist nicht in Sicht.
Dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan steht der Aufstieg ins höchste Staatsamt offen – wenn er es anstrebt. Der amtierende Präsident Abdullah Gül signalisiert: Er wird sich Erdogan nicht in den Weg stellen. Der Machtpolitiker Erdogan will die Kompetenzen des Amtes voll ausschöpfen.
Schon seit längerem ist Erdogan als Kandidat für das Präsidentenamt im Gespräch, ungeachtet der Massenproteste vom vergangenen Sommer und der aktuellen Korruptionsverwürfe. Seit seinem Sieg bei der Kommunalwahl Ende März gilt er mehr dann je als Favorit. Noch hat Erdogan seine Kandidatur nicht offiziell erklärt. Das könnte Mitte Mai geschehen, meinte jetzt Vizepremier Bülent Arinc.
Erstmals in direkter Wahl
Erdogan äußerte aber bereits klare Vorstellungen, wie er das Amt ausüben würde: Er werde „ein Präsident des Volkes“ sein und die Befugnisse des Amtes „in vollem Umfang nutzen“, erklärte der Premier Teilnehmern zufolge vergangene Woche bei einer Sitzung mit Parteifreunden. Dass die Türken im August ihren Präsidenten erstmals in direkter Wahl bestimmen, werde das Amt verändern, sagte Erdogan: Die Verantwortung des Staatsoberhauptes werde wachsen. „Er wird kein protokollarischer Präsident sein sondern einer der ständig unterwegs ist, hart arbeitet und ins Schwitzen kommt“.
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Schon im vergangenen Jahr hatte Erdogan versucht, mittels einer Verfassungsreform das Präsidentenamt nach südamerikanischem Vorbild aufzuwerten. Der Plan scheiterte aber am Widerstand der Opposition. Kritikern ist ohnehin unwohl bei dem Gedanken, der machtbewusste Erdogan könnte als Präsident das Land im Alleingang führen. Frühere türkische Präsidenten haben ihre Befugnisse meist nur zurückhaltend ausgeschöpft.
Unter einem Präsidenten Erdogan hätte ein Premier wenig zu sagen
So machten sie von der Möglichkeit, das Kabinett unter ihrem Vorsitz einzuberufen, höchst selten Gebrauch. Eine Ausnahme war Turgut Özal, der 1989 vom Regierungschef ins Amt des Staatspräsidenten wechselte und als solcher die politische Bühne dominierte. Der damalige Ministerpräsident Yildirim Akbulut war nur eine Marionette Özals. Auch unter einem Präsidenten Erdogan hätte ein Premierminister wohl wenig zu sagen.
Trotz allen Unbehagens: Die Oppositionsparteien wissen, dass Erdogan nach seinem Sieg bei der Kommunalwahl das Präsidentenamt kaum streitig zu machen ist. Das weiß auch der amtierende Präsident Abdullah Gül. In den nächsten Tagen wollen Gül und Erdogan, die alte politische Weggefährten sind, über das Thema sprechen. Bisher wurde spekuliert, sie könnten einen Ämtertausch nach russischem Vorbild vereinbaren: Erdogan wird Präsident, Gül übernimmt das Amt des Regierungschefs. Doch diesen Überlegungen erteilte Gül jetzt eine Absage: Die „Putin-Medwedew-Formel“ sei für die Türkei unpassend, sagte er.
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Entscheidung liegt allein bei Erdogan
Offenbar will Gül kein Premier von Erdogans Gnaden sein. Er habe „unter den gegebenen Umständen keine politischen Pläne“, sagte Gül. Manche Kommentatoren meinen, damit habe Gül eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit als Präsident nicht ausgeschlossen – schließlich gilt das Amt nicht explizit als „politisch“. Auch in der Regierungspartei AKP gibt es nicht wenige, die eine weitere Amtszeit für Gül befürworten. Denn mit einem Wechsel Erdogans ins Präsidentenamt würde die AKP ihr stärkstes Zugpferd verlieren und womöglich in Flügelkämpfe verwickelt.
Doch die Entscheidung liegt allein bei Erdogan. Entschließt er sich zur Kandidatur, wird Amtsinhaber Gül verzichten. Auch die Opposition wird Erdogan nicht bremsen können. Denn ein überzeugender Gegenkandidat ist nicht in Sicht.