Edinburgh. . Die Befürworter der nationalen Unabhängigkeit Schottlands sind auf dem Vormarsch. Am 18. September wird entschieden, ob es nach 307 Jahren zur Abspaltung vom Königreich kommt. Bis vor kurzem war die Antwort klar. Das Nein-Lager lag in den Umfragen klar vorn. Jetzt nicht mehr.

In Schottland kippt die Stimmung. Fast unmerklich, vielleicht noch nicht entscheidend, aber dennoch: Die Befürworter der nationalen Unabhängigkeit sind auf dem Vormarsch. Am 18. September haben die Schotten eine Verab­redung mit dem Schicksal. In einer Volksabstimmung werden sie entscheiden, ob sie sich nach 307 ­Jahren vom Rest des Königreichs abspalten. Die Frage: „Soll Schottland ein unabhängiger Staat sein?“

Bis vor kurzem war die Antwort klar. Das Nein-Lager lag in den Umfragen klar vorn. Jetzt nicht mehr. Der Vorsprung von einst 24 Prozent ist in den letzten Monaten auf sechs Prozent zusammengeschrumpft: 47 Prozent für, 53 Prozent gegen die Unabhängigkeit. Sollte sich der Trend bis September fortsetzen, sieht es für das Nein-Lager nicht gut aus. „Die Möglichkeit“, mahnte ein Leitartikel im „Guardian“, „dass Schottland tatsächlich die Unabhängigkeit wählt, ist jetzt real.“ Kein Wunder, dass sich unter den Unionisten Nervosität ausbreitet.

Die ständigen Warnungen scheinen das Gegenteil zu bewirken

Dabei waren sie sich ihrer Sache so sicher. Im Nein-Lager versammeln sich sämtliche großen Parteien des Landes, von Labour über die Konservativen bis zu den Liberaldemokraten. „Better Together“ nennt sich die Organisation: besser zusammen. Auf der Gegenseite wirbt nur die Scottish National Party (SNP) und eine unbedeutende sozia­listische Partei für den Alleingang.

Seit Anfang der Kampagne hatten die Unionisten von „Better Together“ an der Drohkulisse gearbeitet: Ein unabhängiges Schottland ­müsse die gemeinsame Pfundwährung aufgeben, ein Verbleib in der Europäischen Union wäre fraglich, Unternehmen würden gen Süden abwandern und selbst die Renten wären nicht sicher.

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Doch die ständigen Warnungen scheinen bei den stolzen Schotten eher das Gegenteil bewirkt zu haben, klingen sie doch wie eine Beleidigung: Die Besserwisser aus London sagen ihnen, dass sie nicht gut genug für die Unabhängigkeit seien.

Appell an den schottischen Nationalstolz

Dieses Sentiment nutzt der SNP-Chef Alex Salmond geschickt aus. Er wettert gegen die patriarcha­lische Attitüde des britischen Establishments und appelliert an den schottischen Nationalstolz. Erklärt, dass Schottland wirtschaftlich nichts zu befürchten hätte: Man ­läge, was das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betreffe, auf einer Höhe mit Deutschland oder Frankreich. Und er versichert den Zauderern, dass man in der Unabhängigkeit weiterhin die Queen als Staatsoberhaupt, das Pfund als gemeinsame Währung und die Mitgliedschaft in der EU haben werde. Und die BBC als gemeinsamen Fernsehsender würde man auch behalten.

Dazu kommt, dass die SNP-Kampagne ­organisatorisch und finanziell besser aufgestellt ist. Keine Woche ­vergeht, ohne dass in Stadthallen oder Gemeindesälen öffentliche Debatten angesetzt werden, bei denen SNP-Sprecher antreten, aber Vertreter von „Better Together“ ­fehlen. Spenden aus der Wirtschaft strömen für die Nationalisten, ­während Unternehmen Nachteile befürchten, sollten sie für die Unionisten Geld geben. „Es ist zur Zeit leichter“, sagte der in Edinburg ­geborene Kabarettist Rory Bremner, „zuzugeben, dass man schwul sei, als sich als Unionist zu outen.“

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Alex Salmond macht zudem immer mehr Boden, weil sein zentrales politisches Argument schwer von der Hand zu weisen ist: Das Land steht links, die Schotten wollen nicht von den Konservativen, die 2010 die britischen Unterhaus­wahlen gewannen, regiert werden. „Schottland hat mehr Pandas als ­Tory-Abgeordnete“, pflegt er zu scherzen: Der Zoo in Edinburgh hat sich zwei Pandas von China ausgeliehen, während die Konservativen 2010 im Norden gerade einen Sitz erringen konnten.

Die Unabhängigkeit, so Salmond, würde eine „demokratischere, wohlhabendere und gerechtere Gesellschaft“ schaffen, indem Entscheidungen, die Schottland betreffen, nicht mehr im fernen London gefällt werden: „Dann ­können wir unser Wirtschaftswachstum ankurbeln, die Bevölkerungszahl vergrößern und Schottlands Reichtum gerecht verteilen“.