Brüssel/Kiew/Slawjansk. .

Als Reaktion auf die Ukraine-Krise verstärkt die Nato ihre Präsenz in den osteuropäischen Mitgliedsländern. In den nächsten Tagen sollen See-, Luft- und Landstreitkräfte Richtung Osten verlegt werden, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Brüssel. So würden Kampfjets der Militärallianz verstärkt Einsätze über den baltischen Staaten fliegen sowie Schiffe in die Ostsee und das östliche Mittelmeer verlegt werden. Zudem solle die Verteidigungsbereitschaft durch Manöver und Training gestärkt werden.

Vor allem die baltischen Staaten und Polen hatten sich besorgt über das russische Auftreten in der Ukraine-Krise gezeigt. Der militärische Nato-Oberkommandeur, US-General Philip Breedlove, betonte, die Verstärkung der Militärpräsenz sei rein defensiv: „Die Maßnahmen sind keine Bedrohung Russlands.“ Die verstärkte Präsenz sei bis zum 31. Dezember dieses Jahres geplant.

Deutschland wird sich zunächst mit einem Schiff und sechs Kampffliegern an der Verstärkung beteiligen. Der Tender „Elbe“ mit rund 45 Soldaten Besatzung soll von Ende Mai an ein Minenräum-Manöver in der Ostsee leiten. Bis zu sechs Kampfflieger vom Typ „Eurofighter“ sollen sich ab September an der Luftraumüberwachung über dem Baltikum beteiligen.

Regierungseinheiten laufen zu moskautreuen Aktivisten über

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte den russischen Präsidenten Putin zur Mäßigung in der Krise auf. Russland sei „in der Hauptverantwortung, zu einer Deeskalation beizutragen“, berichtete ihr Sprecher aus einem Telefonat Merkels mit Putin. Von dem Vierergipfel am heutigen Donnerstag in Genf (USA, Russland, Ukraine, EU) erwarte die Kanzlerin Impulse für eine Verhandlungslösung.

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Der Militäreinsatz der Regierung in Kiew gegen pro-russische Separatisten in der Ost-Ukraine geriet unterdessen massiv ins Stocken. In den Städten Kramatorsk und Slawjansk liefen Regierungseinheiten mit gepanzerten Fahrzeugen zu moskautreuen Aktivisten über.

Vor dem Rathaus von Slawjansk stehen drei dieser ukrainischen Schützenpanzer, davor schwerbewaffnete Kämpfer, die sie bewachen. Einer von ihnen spricht offen. Er sagt, er heiße Roman, komme aus Rjasan in Russland, habe vorher zwei Monate auf der Krim verbracht, um drohende Angriffe westukrainischer Radikaler abzuwehren. „Ich habe sofort gekündigt, wir sind zu fünft in ein Taxi gestiegen und dort hingefahren“, erzählt er. Vorher habe er gedient, bei einer Spezialeinheit, auch in Tschetschenien. „Jetzt beschützen wir die friedliche Bevölkerung hier.“

Im Epizentrum der Unruhen

Slawjansk ist zum Epizentrum der Unruhen in der Ostukraine geworden. Seit Tagen hagelt es Meldungen von ukrainischen Truppenbewegungen, Gefechten und einem bevorstehenden Großangriff auf Slawjansk, dessen Polizei- und Geheimdienstzentrale vergangenen Samstag von pro-russischen Kampftruppen besetzt wurden. Tatsächlich ist die Lage relativ ruhig.

Gestern belagerte eine pro-russische Menge bei Kramatorsk, 20 Kilometer südlich von Slawjansk, mehrere Schützenpanzer mit ukrainischen Fallschirmjägern, um sie zum Überlaufen zu überreden. Am Vortag wurden bei einer Schießerei auf dem Militärflughafen von Kramatorsk zwei pro-russische Aktivisten verletzt. Bei der Stadt Isjum tauchte eine weitere Kolonne ukrainischer Schützenpanzer auf. Aber bis auf einige tieffliegende ukrainische Militärhubschrauber bleiben die Regierungstruppen passiv. Offene Kämpfe gibt es bisher nicht.

Gestern erstürmten die Separatisten auch das Rathaus der Gebietshauptstadt Donezk. Außerdem halten ihre teilweise schwer bewaffneten Kämpfer die Rathäuser in Mariupol, Makejewka, Schdanowka, die Rathäuser und Polizeiwachen in Jenikajewka und Kramotorsk.

Roman aus Rjasan sagt, er und seine Kameraden würden bis zur Volksabstimmung über eine unabhängige Republik Donezk in Slawjansk stehen. „Dann fahren wir für eine Woche nach Hause. Danach geht es nach Charkow. Dort lebt das Volk ja auch unter der Drohung vorgehaltener Gewehrläufe.“