Berlin. Still ruht der neue Hauptstadtflughafen BER in der Landschaft. Überflüssige Baucontainer wurden beiseite geschafft. Nun laufen Besuchergruppen über die Endlos-Baustelle und besichtigen schicke Terminals und eine Menge Murks.

52 Grad 21 Minuten Nord, 13 Grad 30 Minuten Ost. Mitten in dieser öden Betonwüste und 21 ­Kilometer vom Alexanderplatz entfernt sind die Erdkoordinaten auf einer kleinen schwarzen Tafel ­notiert. Das bedeutet: Jedes Flugzeug kann den Flughafen Berlin ­Brandenburg International finden. Theoretisch. Praktisch gilt: Landen geht nicht. Dicke große Kreuze auf der 4000 Meter langen und 60 ­Meter breiten Betonbahn ver­graulen den Jets jeglichen Annäherungsversuch.

Der neue Airport BER der Bundeshauptstadt – erster Spatenstich 2006 – ist nicht fertig. Immer noch nicht. Wann er fertig wird, ob überhaupt – wer weiß? Aber wir dürfen ihn schon mal besichtigen.

Wir? Sind elf Leute, die für zehn Euro pro Person eineinhalb Stunden Rundtour durch diese menschenleere Gegend gebucht haben.

Zum 30 Meter hohen Aussichtsturm und zum „physisch fertigen“ Terminal, wie unsere Führerin Sandra das ausdrückt, wo ja auch immerhin schon der Spring­brunnen funktioniert.

Fitness-Center für die Fluglotsen

Zum Kontroll-Tower. Eine besondere Attraktion nicht nur, weil er nach Düsseldorf der zweit­höchste in Deutschland ist, sondern weil hier im Parterre ein Fitness-Center für die Fluglotsen eingebaut wurde.

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Vorbei auch am Steigenberger-Hotel. Da wohnt zwar noch kein Gast, aber die 322 Zimmer werden täglich geputzt, die Betten auf­geschüttelt und die Wasserhähne aufgedreht. Hier ist es, wo Sandra den schönen Satz sagt, es werde „das Leben gespielt“.

Für das bisschen Leben und den sauberen äußeren Eindruck bei der Rundreise über die größte Dauerbaustelle der Republik hat Hartmut Mehdorn gesorgt. Der bärbeißige ehemalige Airbus-, Bahn- und Air- Berlin-Manager hat als erste Maßnahme die zahllosen überflüssigen Baucontainer wegschaffen lassen, als er vor einem Jahr antrat, den ­neuen Berliner Flughafen samt dem dazugehörigen Regierenden Bürgermeister Wowereit aus großer Not zu retten. Hat er sonst noch was geleistet?

Man nennt lieber keinen Erföffnungstermin mehr

Martin Delius führt den BER- Unter­suchungsausschuss im Berliner ­Abgeordnetenhaus. Der junge ­Physiker von der Piratenpartei hat seinen Eindruck in einem langen Interview so formuliert: „Hartmut Mehdorn hat sich vor allen Dingen mit PR-Strategien nach vorne getan, früh Nebenkriegsschauplätze aufgemacht wie Tegel offenhalten, wie die dritte Start- und Landebahn, und sich halt weniger darauf konzentriert, tatsächlich das Gesamtprojekt auch mal fertig zu kriegen.“

Es ist zu ergänzen: Mehdorn ­sollte, nach drei abgesagten Eröffnungsterminen, den neuen Flug­hafen Ende 2014 auf­machen. Heute spricht man nicht mal von 2016 oder 2017. Man nennt lieber gar ­keinen Eröffnungstermin.

Mehdorns Planungschef Uwe Hörmann hatte in der letzten ­Woche erklärt: „Etwa vier Prozent des ­Terminals sind fertig zur Abnahme.“ Er hat ergänzt: „Einen signi­fikanten Rückgang der Mängel kann ich nicht bestätigen“ – wobei, es gebe schon Fortschritte bei der „Ent­wirrung der Kabel in den ­Deckenkanälen“.

Jura-Kalkstein und Nussbaum

Unser weißer Rundfahrtbus stoppt vor diesem Katastrophen-Terminal. Und von außen sieht das Gebäude rundum perfekt aus. Jura-Kalkstein wurde hier verbaut und innen gerne Nussbaum. Ein riesiges, 1000 Quadratmeter großes rotes ­Etwas hängt oben in der Halle, in die das Olympiastadion passen ­würde, wie Sandra sagt. Das ist die „Kunst am Bau“: Zehn Prozent der Bausumme wert, hier dargestellt als „Roter Teppich“. Das Gegenstück ist der Fußboden, ein gigantischer Sternenhimmel. Wirklich schön, wenn hier die prognostizierten 27 Millionen Passagiere im Jahr abfliegen würden, für die das alles in den märkischen Sand gesetzt wurde.

Es gibt so viele Fragen. Sandra deutet nur an, wo die Schwierig­keiten liegen. 27 Millionen Passagiere im Jahr? Könnte knapp werden, heute schon werden in den beiden betriebenen Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld 27 Millionen abgefertigt. Ist der neue Flughafen zu klein? Vorsichtshalber wurden draußen schon Flächen für zwei weitere Terminals reserviert.

Und die Baumängel im fertigen, die Ursachen der ganzen Verzögerungen? Sandra umreißt die ­technisch komplexen Vorgänge in klaren Worten. Wir verstehen: Es geht um Entrauchung und Brandschutz. „Die Anlage spielt verrückt“, sagt sie. „Der Rauch ver­breitet sich im Brandfall überall hin. Wir haben das nicht im Griff.“

Viele Firmen sind pleite

Da gehen im Alarmfall Fenster auf, die zu bleiben sollen, und andere Fenster bleiben zu, die aufgehen sollen. Deshalb wären bei einem Feuer alle Fluchtwege schnell voller Rauch und bleiben nicht, wie vor­geschrieben, 15 Minuten lang rauchfrei. „Man hat auch die Stromkabel neben die Datenkabel gelegt“, ergänzt sie. Das ist der Punkt, den Mehdorns Planungschef mit „Entwirrung“ bezeichnet hat. Der Physiker Delius umschreibt ihn so: „Die Kabel liegen alle mit drin. Es ist überfüllt. Es wird zu heiß“.

Wie kann man bei einem Super- und längst mit fünf statt geplanten 1,7 Milliarden Euro superteuer ­gewordenen Projekt so viel Mist bauen? Viele der Firmen, die dafür gesorgt haben, sind weg. Oder ­pleite. Oder die verantwortlichen Leute sind nicht mehr da, weil ­Mehdorn sie gefeuert hat.

Bleibt die Firma Siemens als die große Hoffnung. Sie hat den Job übernommen, in Sachen Kabel und Entrauchung Klarheit zu schaffen. Sie hat sich an die Arbeit gemacht und braucht noch mal 18 Monate.

Unser weißer Bus steuert auf das Ende der vier Kilometer langen neuen Startbahn zu. Er biegt in sie ein, beschleunigt spektakulär auf 100 Stundenkilometer. „Wir heben ab“, rufen sie im Bus. Ist aber nicht so. Ein Bus kann das nicht nur nicht. Er dürfte nicht mal, wenn er könnte.