Berlin. . Fünf Wochen nach dem Start der großen Koalition legt die SPD die letzten Personalien in der Partei fest. Die Sozialdemokraten wählten den derzeitigen Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, zu ihrem Spitzenkandidaten für die Europawahl. Im Fokus steht auch Yasmin Fahimi als Generalsekretärin.

Die SPD hat ihre Parteiführung komplettiert und Martin Schulz zum Spitzenkandidaten für die Europawahl am 25. Mai gewählt. Der derzeitige Präsident des Europaparlaments erhielt auf der Europadelegiertenkonferenz der SPD am Sonntag in Berlin 97,3 Prozent der Stimmen. Im Anschluss wählte ein Sonderparteitag Yasmin Fahimi zur neuen SPD-Generalsekretärin und Ralf Stegner zum stellvertretenden Parteichef.

Schulz soll auch die europäischen Sozialdemokraten als deren gemeinsamer Spitzenkandidat in die Europawahl führen. Damit ist der 58-Jährige der Anwärter der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) für die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Der neue EU-Vertrag sieht vor, das Ergebnis der Europawahl bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten zu berücksichtigen.

"Die SPD darf nicht nur zum Anhängsel der Regierungsarbeit werden"

In einer kämpferischen Rede rief Schulz dazu auf, "Europa besser zu machen". Derzeit sei die EU "in einem bedauernswerten Zustand". Daher gehe es jetzt darum, "die Menschen mit Europa zu versöhnen und sie für die europäische Idee zurückzugewinnen". Als ein vorrangiges Ziel nannte Schulz die Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in vielen EU-Staaten. Auch wandte sich Schulz, der für seine Rede anhaltenden Applaus erhielt, gegen "eine Durchökonomisierung aller Lebensbereiche".

SPD-Chef Sigmar Gabriel rief dazu auf, bei der Europawahl dem Vormarsch von antieuropäischen Rechts- und Linkspopulisten in vielen europäischen Ländern entgegenzutreten. Dabei werde es "auf die Sozialdemokratie ankommen". Mit Blick auf die große Koalition mit der Union pochte Gabriel auf Eigenständigkeit: "Die SPD darf nicht nur zum Anhängsel der Regierungsarbeit werden."

Fahimi erhielt mit 88,5 Prozent der Stimmen die klare Unterstützung der Delegierten. Sie löst als Generalsekretärin Andrea Nahles ab, die als Arbeitsministerin dem neuen Bundeskabinett angehört. Fahimi war bisher Leiterin der Grundsatzabteilung der Gewerkschaft IG BCE. Die große Koalition wertete sie als "Vernunftehe mit zeitlicher Befristung" und als Bündnis "mit unserem politischen Gegner".

Stegner zum Partei-Vize gewählt

Neben Fahimi war auch der Parteilinke Ralf Stegner für die Nachfolge von Nahles im Gespräch gewesen. Er wurde stattdessen mit 78,3 Prozent der Stimmen als zusätzlicher sechster Parteivize gewählt. In seiner Rede plädierte Stegner für eine stärkere Öffnung der SPD für Bündnisse auch mit der Linkspartei. Dietmar Nietan wurde mit 84,3 Prozent der Delegiertenstimmen als neuer Schatzmeister gewählt. Die bisherige Amtsinhaberin Barbara Hendricks ist inzwischen Umweltministerin.

Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten den Leitantrag der Parteispitze für die Europawahl. Darin dringen die Sozialdemokraten auf eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte. Es brauche "ein Europa der Bürger - nicht der Banken und Spekulanten". Gefordert werden auch mehr Steuergerechtigkeit und ein europäischer Pakt für "existenzsichernde Mindestlöhne". Klar bekennt sich die SPD zum Recht auf Freizügigkeit in Europa.

Im Vorfeld des Kongresses waren innerparteiliche Streitigkeiten um die Platzierung von Ostdeutschen auf der Europaliste beigelegt worden. Die Delegierten folgten bei der Kandidatenkür dem Vorschlag des Parteivorstandes, wonach jeder Landesverband auf mindestens einem der ersten 26 Listenplätze vertreten ist. Derzeit stellt die SPD 23 Europaabgeordnete.

SPD stellt Weichen - Die Personalien im Überblick 

Spitzenkandidat für die Europawahl, Generalsekretärin, stellvertretender Parteichef, Schatzmeister: Es sind wichtige Personalien, die für die SPD am Sonntag zur Wahl anstanden.

Europa-Spitzenkandidat:

Martin Schulz (58): Selbstbewusster Rheinländer, der den EU-Staats- und Regierungschefs gern die Stirn bietet. Seit 2012 Präsident des Europaparlaments, will EU-Kommissionspräsident werden. Setzt sich vehement für den Einigungsprozess ein und warnt vor nationalistischen Tendenzen in Europa. Europa müsse den Bürgern dienen, lautet sein Credo. Fordert Reformen. Und: "Wir wollen ein europäisches Deutschland und nie mehr ein deutsches Europa." Gesetzt als erster Spitzenkandidat aller Sozialdemokratischen Parteien Europas für die Europawahl im Mai. Sitzt seit 1994 im EU-Parlament. Wurde 2003 europaweit bekannt, als Silvio Berlusconi ihn dort mit einem Nazi-Gehilfen im KZ verglich.

Generalsekretärin:

Yasmin Fahimi (46): Kluge und ehrgeizige Deutsch-Iranerin, die mehrere Quoten in der SPD erfüllt: links, Gewerkschafterin, Frau. Kommt als Nachfolgerin von Andrea Nahles zum Zug, weil neben Partei- und Fraktionsvorsitz die Partei auch ein weibliches Gesicht braucht. Bundespolitisch ein unbeschriebenes Blatt, was im Alltagsgeschäft der großen Koalition schwierig sein könnte. Karriere in der Industrie-Gewerkschaft IG BCE, mit deren Chef Michael Vassiliadis sie liiert ist. SPD-Chef Sigmar Gabriel preist ihr Organisationstalent. Unter anderem Nahles und die Mainzer Regierungschefin Malu Dreyer machten sich für sie stark.

Parteivize:

Ralf Stegner (54): Wollte eigentlich Generalsekretär werden, ist aber eben keine Frau. Gilt als "Roter Rambo" von der Förde. "Das Medienbild ist ein Klischee, das nicht so viel aussagt", erklärt der geborene Pfälzer und heutige Kieler dazu. Sieht sich aber durchaus als durchsetzungsstark. Was er in seiner Doppelrolle als Landesvorsitzender und Fraktionschef in Schleswig-Holstein seit Jahren beweist. "Ich bin kein besonders guter Diplomat", sagt er. "Ich mag die Verrenkungen nicht so sehr." Zuletzt Dauer-Gast in Talkshows, Vertreter des linken Flügels, der in seiner neuen Rolle auch die große Koalition kritisch begleiten - und Kontakte zu den Linken knüpfen dürfte.

Schatzmeister:

Dietmar Nietan(49): Vom linken SPD-Flügel, Befürworter von Rot-Rot-Grün 2017. Rheinländer aus Düren, verheirateter Vater zweier Kinder, ausgestattet mit "einem unerschütterlichen Optimismus", wie er selbst sagt. Nach Ansicht Gabriels sind Kassenwarte in der SPD auch "politische Schatzmeister" - Nietan kümmert sich im Willy-Brandt-Haus also nicht nur um die Finanzen und das weitverzweigte Netz an Unternehmensbeteiligungen, sondern wird auch eng in die Strategie eingebunden. Freut sich auf die Zusammenarbeit mit "Sigmar und Yasmin". Will zeigen: "Sozis können sehr gut mit Geld umgehen." Ist auch Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft. (afp/dpa)