Rom/Essen. . Abtprimas Notker Wolf ist Sprecher der weltweit gut 24.000 Frauen und Männer im Benediktinerorden. Und er ist einer der wenigen Deutschen im Vatikan. Er hat eine klare Meinung zum Fall Tebartz-van Elst und glaubt, dass der Papst gerade die deutschen Gläubigen enttäuschen wird.
Notker Wolf (73) ist als Abtprimas der benediktinischen Konföderation Sprecher von weltweit rund 7500 Mönchen und 17.000 Ordensfrauen. Die Benediktiner sind der älteste Orden der Christenheit. Wolf, bekannt auch als Bestsellerautor, lebt in Rom und ist dort einer der wenigen Deutschen im Machtzentrum des Vatikan. Mit ihm sprach Walter Bau.
Primas Wolf, Papst Franziskus schickt sich an, das Bild der katholischen Kirche nachhaltig zu verändern. Erleben wir gerade eine Revolution im Vatikan?
Notker Wolf: Das ist ganz sicher so. Franziskus predigt nicht nur Bescheidenheit und Mitmenschlichkeit, sondern lebt beides auch vor. Und die Menschen spüren, dass Franziskus keine Rolle spielt, sondern tatsächlich so ist. Er hat eine Art, auf die Menschen zuzugehen und für sich einzunehmen, die die Gläubigen begeistert.
In dem Punkt unterscheidet er sich von seinem Vorgänger.
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Wolf: Benedikt wollte auch auf die Menschen zugehen, aber ihm fehlte diese Gabe. Franziskus ist bei den Armen sozialisiert worden, Benedikt zwischen seinen Büchern. Benedikt war der professorale Theologe, Franziskus ist der Pastorale. Benedikt hat vieles Richtige und Gute über den Dialog zwischen den Religionen geschrieben. Aber wer hat diese Schriften gelesen? Franziskus dagegen rief zum gemeinsamen Fasten und Gebet für den Frieden in Syrien auf. Weltweit sind Millionen Christen, aber auch Moslems seinem Aufruf gefolgt.
"Die Zeit der Ausgrenzung ist vorbei"
In deutschen Bistümern werden gerade die Ergebnisse von Umfragen unter Katholiken veröffentlicht. Das Bild ist eindeutig: Viele Gläubige finden sich mit ihren Sorgen und Nöten in der Lehrmeinung der Kirche nicht mehr wieder.
Wolf: Die Kirche muss sich der Tatsache stellen, dass sie sich von der Lebenswirklichkeit vieler Menschen entfernt hat. Das betrifft beispielsweise wiederverheiratete Geschiedene oder den Umgang mit Homosexuellen. Und da bewegt sich ja einiges in der Kirche, vor Ort in den Diözesen. Ich glaube, die Zeit der Ausgrenzung ist vorbei. Die Kirche muss an der Seite der Menschen sein. Und auch hier gibt es ja entsprechende Signale aus dem Vatikan.
Tatsächlich sind die Erwartungen an diesen Papst enorm, auch und gerade in Deutschland...
Wolf:... ja, in Deutschland gibt es bekanntlich ganz besondere Befindlichkeiten.
Wie meinen Sie das?
Wolf: Ich meine beispielsweise die Forderungen nach Abschaffung des Zölibats oder nach Einführung des Frauenpriestertums, die in Deutschland besonders lautstark vorgetragen werden.
"Die Deutschen rennen immer gleich nach Rom"
Die Sie für unrealistisch halten?
Wolf: Ja. Da wird es Enttäuschungen geben. Franziskus wird nicht den Deutschen zu Diensten sein. Wir Deutsche sind manchmal wie Kinder – nicht bereit, die eigene Verantwortung zu übernehmen. Nehmen Sie nur den Fall des Limburger Bischofs Tebartz-van Elst. Warum musste die Angelegenheit nach Rom getragen werden? Es wäre die Aufgabe der Deutschen Bischofskonferenz gewesen, eine Lösung zu finden. Aber die Deutschen rennen immer gleich nach Rom.
Primas Wolf, zu Weihnachten fällt einem das Bild vom Stall ein, von der Herberge, wo Josef und Maria Zuflucht fanden. Heute suchen viele Armutsflüchtlinge Zuflucht bei uns. Wie soll Europa mit diesen Menschen, die oft unter Lebensgefahr hierher fliehen, umgehen?
Wolf: Franziskus hat es uns gezeigt, als er nach Lampedusa zu den Ärmsten der Armen ging. Wir haben eine soziale Verantwortung für diese Menschen. Europa kann keine Wagenburg mehr sein. Aber andererseits können wir auch nicht alle nach Europa holen. Thilo Sarrazin hat gesagt, wir könnten nicht Hartz IV sein für die ganze Welt. In dem Punkt stimmen ich ihm zu. Da ist die Politik gefordert.
Aber wie?
Wolf: Es gibt keine einfachen Lösungen, ich habe auch kein Patentrezept. Aber ich wünschte mir einen G 20-Gipfel nur für Migration. Das Thema muss in der Politik Chefsache werden. Im Moment wird das Problem gern verdrängt. Wir stecken den Kopf in den Sand. Das hat noch nie geholfen.