Washington. Experten haben Reformvorschläge für die Arbeit des US-Geheimdienstes NSA ausgearbeitet. Der Regierung soll es demnach nicht erlaubt sein, nicht-öffentliche persönliche Informationen über US-Bürger zu speichern, so der Tenor. Vorschläge wie die Privatisierung der Datenspeicherung sind aber kaum umsetzbar.
Die Reformvorschläge für die Arbeit des Geheimdienstes NSA, 46 an der Zahl, liegen auf dem Tisch. Die fünf beteiligten Experten haben dabei nie das Ziel verfolgt, die Geheimdienste „zu entwaffnen“, wie es Ex-CIA-Vize Michael Morell formuliert. Dazu seien die Bedrohungen für Land, Leute und die sensible technische Infrastruktur von Stromnetzen bis Börsen durch Terroristen und Kriminelle zu groß.
Bis Januar will US-Präsident Obama in den Regierungs-Apparat hineinhorchen, auch in die NSA, danach eine große Rede halten und am Ende entscheiden. Was wird er verändern - und was bleibt? Wer den 300-Seiten-Bericht liest, stellt fest: Die Übernahme vieler Empfehlungen würde einem radikalen Kurswechsel gleichkommen. Genau den hat das Weiße Haus intern bereits verworfen.
Rohdaten im Verdachtsfall wichtig
Unter der Führung von General Keith Alexander bestimmt bislang ein Mantra die Arbeit: „Wer die Nadel im Heuhaufen finden will, muss erst den Heuhaufen produzieren.“ In die Praxis der NSA übertragen heißt das: Nur wenn man jederzeit den Telefon- und Internetverkehr weltweit im Blick hat und die Rohdaten im staatlichen Hoheitsbereich speichert, kann man im Verdachtsfall zügig in die Tiefe fahnden und Gegenmaßnahmen einleiten.
Orwell hoch zwei -von Dirk Hautkapp
Manches in dem im Internet einsehbaren Experten-Bericht stößt wegen akuter Binsenhaftigkeit auf. So wird beim Abhören auswärtiger Staats- und Regierungschefs dazu geraten, „vorher eine gründliche Analyse vorzunehmen und Kosten und Nutzen abzuwägen sowie alternative Methoden der Informationsbeschaffung zu prüfen“. Motto: Ist der Lauschangriff auf Präsident x oder y wertvoll, selbst wenn er irgendwann öffentlich wird?
Da stellt sich die Frage: Was, bitteschön, haben die Damen und Herren der NSA und im Weißen Haus denn bis jetzt getan? Manche Empfehlung wird auch als Beleg dafür interpretiert, dass die NSA ihren Wirkungskreis (zu) tief in Grauzonen ausgeweitet hat. Etwa wenn gefordert wird, dass Überwachung nicht dazu dienen dürfe, „Wirtschaftsgeheimnisse zu stehlen und Vorteile für die heimische Industrie zu erzeugen“.
Alarmierend, jedenfalls für Datenschützer, wirkt Empfehlung Nr. 20. Dort heißt es, die Regierung möge eine intelligente Software schreiben lassen, die es der NSA ermöglicht, schneller an Informationen zu kommen - ganz ohne vorher massenweise Daten abzuspeichern. Mit anderen Worten: Orwell hoch zwei.
Die Experten-Kommission hält dem, bezogen auf Amerikaner, entgegen: „Als eine generelle Regelung sollte es dem Staat nicht erlaubt werden, massenhaft unverarbeitete, nicht-öffentliche persönliche Informationen über US-Bürger zu speichern, um in Zukunft Abfragen und Daten-Gewinnung für auslandsgeheimdienstliche Zwecke zu ermöglichen.“
Dritte Partei soll Daten speichern
Mehr noch: Künftig sollen nur die großen Internet- und Telefonfirmen, oder eine nicht näher bezeichnete dritte Partei, Daten speichern dürfen. Wenn der Staat welche benötigt zur Gefahrenabwehr, sollen sie ihm auf Antrag und nach gerichtlicher Einzelprüfung zur Verfügung gestellt werden. Genau das, was General Alexander vor Jahren zielbewusst verhindert hat.
Seine Begründung damals: Verizon, AT & T und die anderen Kommunikationsanbieter halten es allesamt ganz verschieden mit den Daten. Manche speichern sie ein paar Wochen, andere zehn Jahre. Und nicht jeder speichert identische Merkmale. Auf jeden Fall speichert keiner alles. Aus Sicht eines Geheimdienstlers: unbrauchbar.
Eben darum hat die NSA mit breiter politischer Flankierung im Kongress milliardenschwere Fakten geschaffen. So wurde erst in diesem Herbst in der Einöde des Bundesstaates Utah die weltweit größte Server-Farm in Betrieb genommen - so groß wie 50 Fußball-Felder. In dem Hochsicherheits-Sektor bei Bluffdale läuft der weltweit größte Datenspeicher auf Hochtouren.
Privatisierung der Datenspeicherung unwahrscheinlich
Fassungsvermögen: unvorstellbar. Gemessen wird hier in Zettabytes. Wie bitte? Wer 36.000 Jahre lang hintereinander Fernsehen guckt, hat ein Exabyte Daten konsumiert. Multipliziert mit 1000 ergibt das ein Zettabyte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die jeden Rahmen sprengende Überwachungs-Infrastruktur eingemottet wird, gehe gegen Null, heißt es in Washingtoner Sicherheitskreisen. Zumal eine Privatisierung der Datenspeicherung gewaltige Summen erfordern würde, die die Telekommunikationsbranche nicht aufbringen will. Am Ende müsste wohl der Endverbraucher seine Beschattung durch die NSA selber zahlen.
Widerstand des Geheimdienste-Establishments zu erwarten
Auch bei anderen Vorschlägen der Experten-Runde ist erbitterter Widerstand des Geheimdienste-Establishments zu erwarten. So soll der NSA untersagt werden, die Computer-Industrie zum Einbau von technischen Hintertürchen zu zwingen, die später das Abhören einfacher macht.
Auch soll, mit Rücksicht auf die Vermarktbarkeit amerikanischer Produkte, Schluss sein mit der Sabotage von Entschlüsselungs-Techniken (Kryptologie) und der Ausbeutung von Sicherheitslücken. Aus Sicht der heutigen NSA-Spitzen sind das alles „Wettbewerbsvorteile“ im Kampf um die Oberheit in Internet und Cyberspace. Wird Obama den Staatsschützern diese Instrumente wirklich aus der Hand schlagen? Es wäre eine Sensation.