Münster. . Der Theologe Mouhanad Khorchide aus Münster hat sich mit seiner liberalen Auslegung des Islams Feinde gemacht. Am Donnerstag protestierten radikale Salafisten gegen den Professor. Aber Khorchide darf sich über prominente Unterstützung freuen: Der Bundespräsident persönlich kam zu Besuch.
Der Theologie-Professor Mouhanad Khorchide ist unter Muslimen umstritten. Liberal Gesinnte unter ihnen respektieren jenen Wissenschaftler, der an der Uni Münster islamische Religionslehrer und Imame ausbildet. Aber da gibt es auch die anderen, für die Khorchide Unerhörtes über den Islam verbreitet. Ein „Ungläubiger“ soll er sein, dieser Professor. Einer, der wie ein „Orientalist“ redet und nicht wie ein gläubiger Muslim.
Was hat Khorchide getan, um sich so viel Zorn zuzuziehen? Zum Beispiel sieht er Gott nicht so streng, wie ihn viele Islam-Gelehrte seit Jahrhunderten beschreiben, sondern anders: Der Allmächtige ist gütig, freundlich, tolerant. Der Koran sein kein Gesetzbuch, sondern ein „Liebesbrief Gottes“.
Salafisten-Demo in der Innenstadt
Solche Standpunkte können besonders die ultrakonservativen Salafisten nicht vertragen. Sie riefen am Donnerstag zur Demonstration gegen Khorchide und das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) auf, das er leitet. Ganz vorne beim Protest: Pierre Vogel, ein Hassprediger. Er will Khorchide „vom Sockel“ stürzen.
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Kurz zuvor hatten Khorchide, seine Mitarbeiter und Studenten höchste Anerkennung erfahren. Bundespräsident Joachim Gauck zeigte sich bei einem Besuch des ZIT zufrieden, dass es seit Kurzem vier Zentren in Deutschland gibt, an denen Lehrer für den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht beziehungsweise Islam-Theologen ausgebildet werden: in Münster/Osnabrück, Tübingen, Frankfurt/Gießen und Erlangen/Nürnberg. „Nun wird der Islam auch an unseren Universitäten eine akademische Disziplin unter anderen“, sagte Gauck.
Gauck warnt in dem Streit vor Hysterie
Auf den Streit um die liberale Ausrichtung des ZIT-Leiters Khorchide ging Gauck nur indirekt ein. Er sprach von Konflikten und offenen Fragen. Bei dem Thema solle man nicht in Hysterie verfallen. Nötig sei eine „entschlossene Ruhe“. „Islamische Theologie ist ein noch junges Fach an deutschen Universitäten. Wir befinden uns in einer Experimentierphase. Und bei Experimenten – jeder weiß es – ist nicht alles gleich gelungen“, sagte Gauck.
Harte Kritik am ZIT übt der Koordinationsrat der Muslime (KRM). Die Dachorganisation von vier islamischen Verbänden wirft Khorchide vor, nicht wie ein Vertreter einer bekenntnisorientierten Religion zu argumentieren, sondern wie ein Orientalist. Zudem hat sich der aus acht Mitgliedern bestehende Beirat, der über Professoren und Lehrinhalte bestimmen soll, immer noch nicht konstituiert.
Der Lehrbetrieb läuft - aber nur vorläufig
Zwei vom KRM vorgeschlagene Kandidaten stießen wegen des Vorwurfs mangelnder Verfassungstreue auf Ablehnung der Behörden. Trotz der Beirats-Blockade läuft der Lehrbetrieb seit einem Jahr. Dozenten wurden nur befristet angestellt, das Lehrprogramm semesterweise fortgeführt. Die Verbände fühlen sich dabei übergangen.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland wiederholte am Donnerstag seine Kritik an Khorchide. „Was nützt es, wenn man Theologie an der Mitte der Muslime vorbei betreibt, um die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft zufriedenzustellen?“, sagte Aiman Mazyek.
Es geht um die theologische Deutungshoheit
„Bei diesem Streit geht es in erster Linie um die theologische Deutungshoheit. Außerdem fürchten die Verbände, dass der Besuch des Bundespräsidenten Khorchide und seinen liberalen Ansatz aufwertet“, sagte die Islamwissenschaftlerin und Buchautorin Lamya Kaddor dieser Zeitung. Laut Kaddor ist Khorchide „ein Mann der stark polarisiert. Zum Beispiel mit seiner Aussage, dass auch Atheisten Aussichten aufs Paradies haben.“
Khorchide rief dazu auf, den Konflikt um das ZIT nicht auf dem Rücken der Studenten auszutragen. 400 Studenten sind zurzeit dort eingeschrieben.