Rom. In einem „Apostolischen Schreiben“ attackiert Franziskus Geldgier, die Struktur des Kirchenapparats und eine Morallehre, die das Evangelium überlagert . Selbst dem eigenen Papstamt verlangt er Reformen ab. Für die Laien fordert er mehr Rechte – und auch Pflichten.

Als 262 katholische Bischöfe vor einem Jahr, drei Wochen lang eingepfercht in einen düsteren vatikanischen Konferenzsaal, nach neuen „Wegen durch die Wüste“ einer entchristlichten Welt suchten, da kam außer einem Sammelsurium von tendenziell bescheidenen Ideen nichts heraus.

Jetzt hat Papst Franziskus die Vorschläge der Synode gesichtet und sie zusammen mit seinen eigenen „aktuellen Besorgnissen“ zu einem etwa 200seitigen, einheitlichen „Apostolischen Schreiben“ zusammengefasst. Nun ist klar: Was er in den vielen Predigten und Audienzen seiner achtmonatigen Amtszeit gesagt und geschrieben hat, waren schlicht Fingerübungen für diesen großen Wurf.

In der Hauptsache möchte Franziskus seiner Kirche „neuen missionarischen Schwung voller Eifer und Dynamik“ einhauchen, damit sie sich nicht in sich selbst verschließe oder weltliche Attitüden annehme in einer „schrecklichen Korruption des Guten“. Das Schreiben ist ein Appell zum „beständigen Aufbruch“, eine Predigt gegen das „abwartende Sitzenbleiben in den Kirchenräumen“.

Wuchtige Anklage des Wirtschaftssystems

Es ist aber auch – im Stil früherer päpstlicher Sozialenzykliken – eine fulminante, sprachlich wuchtige Anklage des heutigen Wirtschafts- und Finanzsystems: Franziskus attackiert die „Vergötterung des Geldes“, das „undifferenzierte, Vertrauen auf die Güte derer, die die wirtschaftliche Macht in Händen halten“. Ihre „Ideologie der absoluten Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation“ bezeichnet Franziskus als „Tyrannei“.

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Der Papst protestiert gegen die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ und gegen die egoistische „Wegwerfkultur“, die sich nicht nur auf Konsumgüter erstrecke: „Heute wird der Mensch an sich wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann.“

Oder: „Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während ein Kursrückgang um zwei Punkte an der Börse Schlagzeilen macht.“

„Evangelii Gaudium“ heißt Franziskus‘ Schreiben. Um „Freude“ am Verkünden des Evangeliums, „der schönsten Botschaft, die diese Welt hat“ geht es darin; es soll „nicht unter Bequemlichkeit und vielen Ausreden begraben“ werden.

Franziskus will weg von der binnenkirchlichen Nabelschau. So ruft er die Priester auf, den Gläubigen nicht mit einer Fülle moralischer Lehren das Leben schwer zu machen. „Wenn ein Pfarrer das Kirchenjahr über zehnmal über die Enthaltsamkeit spricht und nur zwei- oder dreimal über Liebe und Gerechtigkeit, dann entsteht ein Missverhältnis. Dann stehen genau die Tugenden im Schatten, die in den Predigten stärker vorkommen müssten.“

Jesus als Vorbild

Franziskus schließt sich aus dem von ihm geforderten Kurswechsel der katholischen Kirche nicht aus, im Gegenteil: „Da ich berufen bin, selbst zu leben, was ich von anderen verlange, muss ich auch an eine Neuausrichtung des Papsttums denken.“

Seine Aufgabe sei es, sagt er, „offen zu bleiben“ für Vorschläge zu einer mehr jesus-konformen Ausübung des Amtes. Auch die „zentralen Strukturen der Universalkirche haben eine pastorale Umkehr nötig.“ In diesem Sinne spricht sich Franziskus für eine „heilsame Dezentralisierung“ der Kirche aus.

Der Papst wünscht sich eine „wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche, auch an den Stellen, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden.“ Das den Männern vorbehaltene Priestertum stehe dabei nicht zur Diskussion. Die Laien will er stärker beteiligen: „Sie sind schlicht die riesige Mehrheit des Gottesvolks. In ihrem Dienst steht eine Minderheit: die geweihten Amtsträger“.

Gleichzeitig packt er die Laien bei ihrer Verantwortung: Ihr Einsatz führe „nicht zum Eindringen christlicher Werte in die soziale, politische und wirtschaftliche Welt. Das Engagement beschränke sich auf innerkirchliche Aufgaben – ohne Nutzen für die Gesellschaft im Sinne des Evangeliums. Das ist diesem Papst eindeutig zu wenig.