Essen. . Große Koalition hin, Schwarz-Grün her – der Grüne Reiner Priggen (60) äußert sich über politische Machtspiele und Koalitionsmöglichkeiten der Zukunft. Der Aachener verfügt über langjährige Erfahrung. Er kennt Rot-Grün in allen Varianten. Im Interview denkt er laut darüber nach, wie seine Partei „raus aus der rot-grünen Klemme“ kommen kann.
Reiner Priggen ist der erfahrenste Politiker unter den führenden Grünen in NRW. Der 60-jährige Aachener hat Rot-Grün in allen Spielarten erlebt. Als Landeschef hatte er ab 1995 großen Anteil daran, dass die damalige „Streit-Koalition“ zehn Jahre hielt. Seit Beginn der Regierung Kraft/Löhrmann 2010 ist er Fraktionschef im Landtag. Themen bei seinem Besuch der WAZ-Redaktion waren Schwarz-Grün, die Große Koalition und mögliche Folgen für NRW. Das Gespräch fasste Theo Schumacher zusammen.
Herr Priggen, im Bund scheint es auf eine Große Koalition zuzulaufen. Die Grünen schauen zu. Gefällt Ihnen das?
Reiner Priggen: Ich muss schon sagen, dass ich mich über unsere Anlage des Wahlkampfes in Berlin geärgert habe. Denn grundsätzlich sollte es so sein, dass wir Grüne jede Koalition, die die SPD kann, auch können müssen. Also auch eine mit der CDU. Leider haben wir uns im Vorfeld der Bundestagswahl strategisch so verengt, dass wir am Ende eingeklemmt waren.
Und hatten dann, als mit der Union sondiert wurde, zu wenig Bewegungsfreiheit?
Priggen: So ist es. Uns fehlte Spielraum, weil wir vorher zu einseitig auf eine rot-grüne Koalition festgelegt waren, obwohl seit zwei Jahren keine Umfrage dafür eine Chance sah. Das kann man sich heute nicht mehr erlauben, zumal es keine festgefügten Mehrheiten mehr gibt.
In NRW läuft das aber nicht anders. Die Grünen reden seit zehn Jahren über eine Öffnung zur CDU, aber passiert ist nichts.
Priggen: Einspruch. Wir haben in Gladbeck in den 90-er Jahren auf lokaler Ebene mit Schwarz-Grün angefangen. Dort ging es damals mit der CDU leichter als mit den Zement-Sozis im Revier, obwohl wir traditionell mehr Nähe zur SPD haben. Wir haben auf kommunaler Ebene in NRW seit langem viele Koalitionen sowohl mit der SPD als auch mit der CDU. Und vor der Landtagswahl 2010 hatten wir Grüne intern geklärt, dass wir auch die Option CDU nutzen können, wenn es für die von uns angestrebte Ablösung der Regierung Rüttgers durch Rot-Grün nicht gereicht hätte. Dementsprechend haben wir auch auf der Spitzenebene mit der CDU Gespräche geführt.
Was folgern Sie daraus?
Priggen: Wir müssen uns breiter aufstellen. Ein Beispiel: Wenn SPD und CDU in Berlin die Vorratsdatenspeicherung beschließen und eine neue Datensammelwut losbricht, warum sollen wir uns in dieser Frage nicht mit FDP-Chef Lindner verbünden, sobald die Frage im Bundesrat relevant wird. Oder an anderer Stelle auf die Linken in Brandenburg zugehen.
Sehen Sie noch Chancen für Schwarz-Grün in Hessen?
Priggen: Das entscheiden ganz alleine die Hessischen Grünen. Jedenfalls fände ich es gut, wenn es dazu käme. Das wäre genau das richtige Signal. Oder auch eine rot-grüne Minderheitsregierung nach unserer positiven Erfahrung in NRW.
Es kann in Berlin auch ganz anders ausgehen. Wenn die SPD-Basis die Große Koalition ablehnt, gibt es für die Grünen eine zweite Chance.
Priggen: Das halte ich für ausgeschlossen. Das Ganze ist doch ein Prozess, den man nicht einfach so zurückdrehen kann. Das Thema ist für diese Wahl ausverhandelt. Entweder gibt es am Ende eine Große Koalition oder Neuwahlen. Einen anderen Weg sehe ich nicht.
Haben Sie den Kurs von Hannelore Kraft verstanden, die zuerst klar Front gemacht hat gegen eine Große Koalition und plötzlich umgeschwenkt ist?
Priggen: Ich nehme an, das war wohl ihre Rolle in einer für die SPD komplizierten Situation. Unter dem Strich glaube ich aber nicht, dass Hannelore Kraft dabei verliert. Wenn die Koalition erst einmal steht, wird sie diejenige sein, die wichtige Punkte für die SPD durchgesetzt hat.
„Damit muss man professionell umgehen“
Stören die Gespräche von CDU und SPD das rot-grüne Koalitionsklima in NRW?
Priggen: Bisher nicht, aber man muss abwarten. Es wird sicher nicht einfacher. CDU und FDP werden im Landtag immer wieder versuchen, uns gegeneinander zu treiben, wenn die Beschlusslage in Berlin und Düsseldorf unterschiedlich ist. So ist das Geschäft. Damit muss man professionell umgehen.
Gehört zum Geschäft auch, dass SPD-Wirtschaftsminister Duin fordert, mehr Branchen von der Umlage für Erneuerbare Energien zu befreien, ohne vorher mit Ihnen zu reden?
Priggen: Auch bei den Grünen ist Konsens, dass energieintensive Unternehmen wie die Aluhütte in Essen von der Umlage befreit werden. Aber wir sind gegen weitere Ausnahmen. Steinkohle und Braunkohle stehen nicht im internationalen Wettbewerb, da ist das nicht einzusehen. Mit seiner Forderung, bis zu sechs Milliarden Subventionen für alte fossile Kraftwerksparks bereitzustellen, hat Minister Duin auch der Ministerpräsidentin keinen Gefallen getan.
Weil sie nun wieder Schlagzeilen als Kohle-Kraft macht?
Priggen: Übrigens zu Unrecht, wie ich finde. Denn wir haben in der Koalition die Linie, dass wir uns zur Industrieregion mit Stahl und Chemie bekennen und gleichzeitig auf Innovation setzen, eben Effizienz, Kraft-Wärme Kopplung und Energie aus Sonne und Wind. Man kann neue Entwicklungen nicht umkehren. Das ist auch eine Imagefrage. Das Ruhrgebiet versteht sich doch als Region mit Zukunft. Wenn alle immer nur über Kohle reden, hilft das dem Standort nicht.
Der vor der Wahl von SPD und Grünen in NRW erhoffte Geldsegen aus Steuererhöhungen wird ausbleiben, wie es aussieht. Ist das Ziel Schuldenbremse gefährdet?
Priggen: Einfach wird es nicht, bis 2020 ohne Mehreinnahmen die Neuverschuldung auf null zu senken. Was die Große Koalition deshalb auf jeden Fall zu Stande bringen muss: mehr Geld für die Kommunen und für die Infrastruktur in NRW, damit wir unsere Verkehrswege und maroden Brücken endlich sanieren können.