Essen. Das Internet greift in so gut wie jeden Lebensbereich: Kommunikation, Post, Kriege - fast nichts, was der digitale Wandel nicht revolutioniert hat. Für Ermittler von Straftaten ist das Netz eine große Herausforderung - und Datenschutz behindert sie an vielen Stellen. Ein Kommentar zur BKA-Tagung.

Was in zwanzig Jahren durch das Internet bewirkt wurde, das hat es vorher nie gegeben in so kurzer Zeit und mit solch umwälzender Energie. Das Netz hat die Informationsbeschaffung revolutioniert, den täglichen Plausch und den Postverkehr. Es verändert das Einkaufen, die Fortbewegung, die Diplomatie, die Wirtschaft, die Kriegsführung, das Lernen und das Kennenlernen.

Die Welt von 1990 war noch, irgendwo, auch die Welt von 1970. Heute spüren wir: Die Welt von 2013 ist überhaupt nicht mehr die von 1990.

Die digitale Veränderung hat überraschend viel Gutes und Bequemes mitgebracht. Und sie ist - durfte je jemand daran zweifeln? - auch vom Schlechten vereinnahmt worden. Die Unterwelt hat sich im Netz breit machen können, sagen Sicherheitsbehörden. Sie versprechen aber: Wir geben nicht auf. Sie wissen: Das wird kein Spaziergang.

2,5 Millionen Straftaten nach Schätzungen

Nicht 229.000 einzelne Straftaten sind im weitesten Sinn der Netzkriminalität zuzuordnen. Eher sind es 2,5 Millionen, schätzt das Bundeskriminalamt. Sie reichen von Mobbing und Beleidigung, vom Urheberrechtsbruch und Betrug bis zur Geldwäsche, zum Drogenhandel, zu Kinderschändung und Prostitution, zu Killer-Offerten, Tötung und Terror.

Das Dramatische daran: War unser Rechtssystem, waren unsere Fahndungsmethoden und unsere Strafprozessordnung bisher tauglich, Kriminalität in halbwegs verträgliche Grenzen zu bannen, ist das nicht mehr der Fall. Nicht nur, weil sich Täter hinter Servern in Amerika, Schweden oder China verbergen können, ohne dass deutsche Rechtsprechung sie erreichen kann. Das ist auch so, weil Polizei und Staatsanwälte hierzulande die sekundenschnelle Kommunikation im Netz nicht mehr verfolgen können. Wenn Rockergruppen im "Darknet" verschlüsselt den Angriff auf Rivalen planen, haben Fahnder keine Chance.

Totale "Freiheit im Netz" wird nicht funktionieren

Die von den Piraten so hofierte neue totale "Freiheit im Netz" wird weder funktionieren noch ist sie rechtens. Denn das Grundgesetz verpflichtet den Staat, für die körperliche Sicherheit seiner Bürger - auch die User sind Bürger - zu sorgen. Dafür bräuchten Polizei und Staatsanwälte unter den Gegebenheiten von 2.0 mehr - eher noch: andere - Befugnisse. Dass die Telefonanbieter angewählte Nummern und E-Mail-Accounts nicht mehr über einen Zeitraum von sechs Monaten speichern dürfen, damit Ermittler notfalls und unter dem Vorbehalt eines Richterspruchs darauf zurückgreifen können: Das ist aus Sicht der Datenschützer richtig. Ist es aus Sicht der Menschenschützer auch gut?

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Die digitale Revolution reicht, mindestens, so tief wie die industrielle des 18. Jahrhunderts. Wahrscheinlich ist der Siegeszug von Big Data am Ende viel oder so wenig segensreich wie die erste Dampfmaschine oder der erste Benz es waren.

Es braucht weltweit einheitliche Regeln

Aber ohne eine erhöhte Vorsicht des einzelnen Staatsbürgers, ohne Anpassung der Gesellschaft und ihres Straf- und Zivilrechts an die Entwicklung, ohne wenigstens in Ansätzen weltweit einheitliche Netzregeln kommen Mensch und neue Technologie nicht zusammen. Wir brauchen ein Internet-Gesetzbuch. Wir brauchen vielleicht den Internet-Minister. Musste nicht auch die Straßenverkehrsordnung des Jahres 1910 erst um den Paragraphen ergänzt werden, der die Missachtung der Höchstgeschwindigkeit ahndete?

Wie dramatisch die Veränderungen wirken und wie notwendig der Wandel ist, das zeigt nicht nur die NSA-Spionageaffäre. Das macht schon das hunderttausendfache "Abgreifen" der Kontodaten beim Internetbanking und ihr heimlicher Weiterverkauf klar. Er ist - wie lange eigentlich noch? - nicht strafbar.