Moskau. Historischer Wahltag in Moskau: Zum ersten Mal seit zehn Jahren dürfen die Menschen in der größten Stadt Europas ihren Bürgermeister wieder direkt wählen. Erstmals ist bei einer Wahl auch wieder echte Konkurrenz zugelassen - mit dem Kremlgegner Nawalny, der einen Achtungs-Erfolg verbuchen kann.
Es ist wohl die Krönungswahl für Alexej Nawalny, den Führer der zerstrittenen russischen Opposition - für den Mann, der auch Kremlchef Wladimir Putin einmal besiegen will. Der 37-Jährige erreichte bei der Bürgermeisterwahl in Moskau am Sonntag nach einem erbittert geführten Straßenwahlkampf ein Kunststück der russischen Politik: Aus dem Stand holte er laut Prognosen rund 30 Prozent der Stimmen - etwa das Doppelte des Erwarteten.
Das nannten Beobachter mehr als einen Achtungserfolg gegen den staubtrockenen, vom Kreml gestützten Amtsinhaber Sergej Sobjanin. Der Technokrat kam knapp über die 50-Prozent-Marke - und entging damit einer Stichwahl. Ein Duell mit zwei Siegern. Zerknirscht verlautete nach Schließung der Wahllokale aus dem Stab des Amtsinhabers: Nawalny habe es besser verstanden, seine Anhänger und Protestwähler zu mobilisieren. Sobjanin hingegen habe den Wahlkampf seinen Helfern überlassen.
2018 soll es gegen Putin gehen
Es war ein mit Spannung erwarteter Tag der Entscheidung für den Anti-Korruptionskämpfer Nawalny als Galionsfigur der Protestbewegung gegen Putin. Nawalny will den Präsidenten bei der nächsten Wahl des Staatsoberhaupts 2018 in die Knie zwingen.
Über Moskau - Europas größter Stadt - lag tagsüber eine gespenstische Stimmung. Der Himmel wolkenverhangen, die mächtigen Prospekte wie leer gefegt. Viele sprachen von einem historischen Urnengang. Nicht nur konnten die Moskauer erstmals seit zehn Jahren überhaupt wieder ein Stadtoberhaupt selbst wählen - vorher hatte Putin das bestimmt. Es war vor allem zum ersten Mal auch echte Konkurrenz zugelassen - mit dem jungen Nawalny, der vielen als Vorzeige-Russe gilt.
Erklärter Feind des etablierten Kreml-Regimes
Der Anwalt und Blogger ist dem Kreml ein Dorn im Auge, weil er zum Ärger Putins das System immer wieder als korrupt, hintertrieben und voller Willkür brandmarkt. Putin schien zuletzt die laufenden Strafverfahren gegen Nawalny zu verteidigen: Wo "dieser Mann" aufkreuze, gebe es Ärger, meinte er. Am Sonntag bei seiner Stimmabgabe sprach der Kremlchef seinem Gegner noch jede Eignung als Rathauschef ab: "Großstädte benötigen keinen Politiker, sondern einen Menschen, der zu arbeiten versteht", sagte Putin in die Mikrofone.
Doch der wortgewandte Nawalny, der mit seiner Frau Julia und den Kindern eine Bilderbuchfamilie abgibt, nimmt solchen Schimpf von Putin als Ansporn. "Geht wählen - ändern wir Russland, fangen wir in Moskau an", schrieb er am Wahltag in einem Blog. Dass sich der vor allem bei jungen Menschen beliebte Populist erstmals erfolgreich einer Wahl stellt, dürfte ihn erheblich stärken.
Dennoch: ein aussichtsloses Gefecht
Aber es war aus Sicht vieler Beobachter auch ein aussichtsloses Gefecht gegen die mächtigen Mühlenflügel des Kreml: Der 55 Jahre alte Amtsinhaber Sobjanin genießt den Rückhalt Putins, die uneingeschränkte Zuwendung der Staatsmedien - und den für viele Russen tadellosen Ruf eines disziplinierten Apparatschiks, der den Moloch Moskau am ehesten in eine gute Zukunft steuern kann.
Der Kreml überließ auch bei dieser Wahl nichts dem Zufall. Ein anderer prominenter Oppositioneller, der Linkspolitiker Sergej Udalzow, etwa durfte nicht teilnehmen. Und sogar das Verteidigungsministerium leistete Schützenhilfe: Zu einem großen Stadtfest, auf dem Sobjanin sich am Sonnabend trotz des am "Tag der Stille" verbotenen Wahlkampfes auf dem Roten Platz in Szene setzte, beschossen Flugzeuge den Himmel mit Chemikalien, um für gutes Wetter zu sorgen.
Vor drei Jahren wurde der damalige Kremlfunktionär Sobjanin auf den Posten gehoben - nachdem der legendäre Bürgermeister Juri Luschkow nach fast 20 Dienstjahren in Ungnade gefallen war. "Sobjanin ist ein erfahrener Beamter, er hat in den vergangenen drei Jahren die wilden Kioske in der Stadt entfernen lassen, unsere Parks erneuert und neue Metrostationen eröffnet", sagte der 83 Jahre alte Rentner Wassili nach der Stimmabgabe.
"Natürlich gibt es viele Probleme in der Stadt. Aber wir wollen kein Chaos wie in Syrien, wenn auf einmal irgendwelche Oppositionelle kommen", meinte er. Er und seine Frau hätten rund 26 000 Rubel (etwa 650 Euro) zum Leben - das sei genug. Doch vor allem junge Moskauer setzen auf ehrliche Wahlen und einen Neuanfang mit Nawalny. (dpa)