Berlin. Dass Krankenkassen vor allem junge und gesunde Versicherte umwerben, ist nichts Neues. Wie sehr Alte und Kranke tatsächlich diskriminiert werden, zeigt jetzt ein Bericht des Bundesversicherungsamtes. Experten sehen die Schuld allerdings nicht bei den Kassen, sondern bei der Politik.
Alte und kranke Menschen werden in der gesetzlichen Krankenversicherung immer wieder diskriminiert. Das geht aus dem jüngsten Tätigkeitsbericht des Bundesversicherungsamtes hervor, den die Aufsichtsbehörde im Internet veröffentlicht hat. Danach benachteiligen die Kassen Versicherte mit hohem Kostenrisiko oft schon bei der Anwerbung. Daneben habe es aber auch Versuche gegeben, Ältere oder Kranke aus der Kasse herauszudrängen, heißt es in dem Bericht, aus dem zuerst die "Frankfurter Rundschau" (Mittwoch) zitiert hatte.
Nach Darstellung der Behörde hatten Mitarbeiter einer Krankenkasse kurzfristig sogar versucht, behinderte und chronisch kranke Menschen am Telefon zur Kündigung zu bewegen. "Die dargestellte Verfahrensweise verstößt gegen grundlegende Prinzipien des Sozialgesetzbuches und wird der Verantwortung der gesetzlichen Krankenkassen gerade auch bei der medizinischen Versorgung von behinderten und chronisch kranken Menschen nicht gerecht", rügt das Bundesversicherungsamt.
Prämien gibt es nur für gesunde Neukunden
Scharfe Kritik übt die Behörde auch an der systemischen "Risikoselektion" bei der Anwerbung von Versicherten. So habe eine Reihe von Krankenkassen mit ihrem Vertrieb Vereinbarungen mit dem Ziel abgeschlossen, vorrangig einkommensstarke und gesunde Versicherte zu akquirieren.
"Oft zahlen die Krankenkassen ihrem Vertrieb keine Prämien für das Werben von einkommensschwachen oder kranken Versicherten oder verlangen Prämien zurück, wenn die Neumitglieder höhere Krankheitskosten verursachen als erwartet", heißt es in dem Bericht. "Hierdurch verstoßen die Krankenkassen gegen das Diskriminierungsverbot und das in der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachtende Solidaritätsprinzip."
Kritik an Risikoselektion der Krankenkassen
Sobald die Krankenkasse im Vertrieb mit einem potenziellen Neumitglied in konkreten Kontakt tritt, ist sie verpflichtet, alle Bevölkerungsgruppen gleich zu behandeln. "Schuld an der Risikoselektion sind nicht die Kassen", sagte Gesundheitsexperte Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg der "Frankfurter Rundschau". "Schuld ist die Politik, die die Krankenkassen in den Wettbewerb gezwungen hat."
Aber auch in der Privaten Krankenversicherung (PKV) werden ältere Versicherte oft benachteiligt. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) kritisierte in den "Stuttgarter Nachrichten" (Mittwoch), dass es immer noch Versicherer gebe, die Älteren keine günstigeren Tarife anböten, obwohl das gesetzlich vorgeschrieben sei. Das seien aber "Ausreißer", betonte er.
Gesundheitsminister Bahr gegen "Rosinenpickerei"
Der Minister lehnte es ab, älteren Privatpatienten die Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung zu eröffnen. "Wer sich für die PKV entscheidet, kann keine Rosinenpickerei betreiben", sagte Bahr und verteidigte die Forderung, Privatkassen für alle zu öffnen.
Aus Sicht des Gesundheitsexperten Jürgen Wasem hätte eine solche Öffnung massive Konsequenzen. "Die Kehrseite ist, dass der gesetzlichen Krankenversicherung wichtige, zahlungskräftige Versichertengruppen den Rücken kehren würden. Die gesetzliche Krankenversicherung würde ausbluten. Für die Verbleibenden würden die Beiträge stark steigen", sagte der Gesundheitsökonom der Universität Duisburg-Essen der "Schweriner Volkszeitung" (Mittwoch). (dpa)