Tel Aviv. Die Freilassung palästinensischer Langzeithäftlinge ist eine Geste der Versöhnung kurz vor neuen Friedensgesprächen. Doch gleichzeitig provoziert Israel die Palästinenser mit neuen Siedlungsprojekten. Ein Vertreter der Palästinenser warnte daher vor einem Scheitern der Nahost-Gespräche.
Vor der neuen Gesprächsrunde in Nahost an diesem Mittwoch setzt Israel im Umgang mit den Palästinensern auf Zuckerbrot und Peitsche. Die Freilassung der ersten 26 von insgesamt 104 Langzeithäftlingen soll dem Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas die widerwillige Rückkehr an den Verhandlungstisch versüßen und seinen Stand gegenüber der radikalislamischen Hamas stärken. Gleichzeitig provoziert Israel die Palästinenser aber offen mit Ankündigungen von Siedlungsprojekten.
Nur einen Tag vor neuen Gesprächen bestätigte die Jerusalemer Stadtverwaltung am Dienstag Baupläne im Gilo-Viertel auf 1967 erobertem Gebiet. "Dies ist kein neuer Plan", betonte die Sprecherin allerdings. Das Projekt durchlaufe seit zwei Jahren verschiedene Genehmigungsstadien. Erst am Sonntag hatte Israels Bauministerium verkündet, man werde fast 1200 neue Siedlerwohnungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem bauen.
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Der palästinensische Unterhändler Mohammed Schtajeh wertete die Bauankündigung schon als "klaren Beweis", dass Israel es mit den Friedensgesprächen nicht ernst meine. Die israelische Zeitung "Haaretz" sprach in ihrem Leitartikel von einem "gezielten Angriff" auf die nach fast dreijähriger Eiszeit gerade wieder begonnenen Friedensgespräche. Ziel sei es offenbar, die weiteren Verhandlungen zu torpedieren, "nachdem alle anderen Bremsversuche gescheitert sind", schrieb das Blatt.
Palästinenser warnen vor Scheitern der Nahost-Gespräche
Angesichts des von Israel vorangetriebenen Siedlungsbaus haben die Palästinenser vor einem Scheitern der Nahost-Friedensgespräche gewarnt. Die Siedlungsprojekte liefen den US-Versprechen zuwider und drohten "den Zusammenbruch der Verhandlungen zu verursachen", sagte der hochrangige Palästinenservertreter Jasser Abed Rabbo am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP.
US-Außenminister John Kerry reagierte dagegen zurückhaltend und nannte die neuen israelischen Baupläne sogar "bis zu einem gewissen Grad erwartet" - obwohl man natürlich alle Siedlungen als illegal betrachte. Er rechne nicht damit, dass sie die neuen Gespräche der israelischen Verhandlungsführerin Zipi Livni mit dem palästinensischen Unterhändler Saeb Erekat aus der Bahn werfen, betonte Kerry am Montag bei einem Besuch in Kolumbien. "Wir wussten, dass es eine Fortsetzung der Bautätigkeit an gewissen Orten geben würde, und ich denke, die Palästinenser verstehen das", sagt Kerry.
Freilassung palästinensischer Häftlinge in Israel höchst umstritten
Mit den neuen Ausschreibungen für Siedlerhäuser will Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu offenbar die rechtsorientierten Mitglieder seiner Regierung besänftigen. Die Freilassung der 104 palästinensischen Häftlinge ist in Israel höchst umstritten. Auch innerhalb von Netanjahus Mitte-Rechts-Regierung, die den Schritt immerhin selbst gebilligt hat, reißt die Kritik an der Freilassung verurteilter Mörder nicht ab.
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"Die Terroristen, deren Freilassung beschlossen wurde, haben Frauen und Kinder ermordet, und es ist mir nicht klar, wie die Freilassung von Mördern dem Frieden dienen soll", sagte Wohnungsbauminister Uri Ariel von der Siedlerpartei Das Jüdische Haus. Er hatte am Sonntag eine politische Bombe platzen lassen, als er den Bau von knapp 1200 Siedlerwohnungen ankündigte und erklärte: "Kein Land der Erde lässt sich von anderen Staaten vorschreiben, wo es bauen und wo es nicht bauen darf."
"Haaretz": Netanjahu führt Israel auf "politisches Minenfeld"
Der Zeitpunkt der Bauankündigung - nur wenige Stunden vor der Billigung der Häftlingsentlassung - war wohl kaum ein Zufall. So kurz vor der Freilassung der Langzeithäftlinge waren den Palästinensern weitgehend die Hände gebunden. Die neuen Gespräche sollen am Mittwoch nur Stunden nach der Rückkehr der 26 Palästinenser in das Westjordanland und den Gazastreifen beginnen.
Das Thema Siedlungen dürfte jedoch weiter für heftige Spannungen sorgen. "Haaretz" kritisierte in dem Leitartikel, Netanjahu führe Israel mit seinem Verhalten wissentlich auf ein politisches Minenfeld. "Nicht nur den Beziehungen zu den Palästinensern droht Schaden, sondern auch denen zu den USA, die sich den Strafmaßnahmen anschließen könnten, die die Europäische Union gegen Israel verhängt hat", warnte das Blatt. "Damit wäre Israels internationale Isolation komplett." (dpa/afp)