Berlin. . Der Abhörskandal um das umstrittene US-Geheimdienst-Programm Prism beschert den zerstrittenen Piraten ungeahnte Möglichkeiten im Bundestagswahlkampf. Doch Experten zweifeln daran, dass die als Chaostruppe verschriene Kleinpartei in der Lage ist, den Elfmeter zu versenken.
Sie schienen schon gekentert und dümpelten in der Wählergunst bei zwei Prozent. Doch dann kam der Ausspäh-Skandal durch den US-Geheimdienst NSA wie ein Wahlkampf-Geschenk des Himmels. Seit Prism hoffen die Piraten wieder, dass sie doch noch in den Bundestag kommen. Nach einer aktuellen Umfrage liegen sie bei vier Prozent. Doch Experten bezweifeln, dass sie die Fünf-Prozent-Hürde nehmen, obwohl endlich ein urpiratiges Thema für Wirbel sorgt.
Wie lästerte Netz-Kolumnist Sascha Lobo vor einiger Zeit via Twitter: „Für die Piraten ist Prism ein Elfmeter. Vor leerem Tor. Rückenwind. Abschüssiger Platz. Warum befürchtet man trotzdem, dass sie verfehlen?“ Lobos Skepsis, dass die Freibeuter auch diese Steilvorlage vergeigen könnten, kommt nicht von ungefähr. Über Monate haben sie sich mit internen Streitereien und Skandalen auf beispiellose Weise selbst demontiert. In Scharen sind die Sympathisanten, die hauptsächlich Protestwähler sind, davongelaufen. Zudem haben die Politneulinge Debatten verschlafen, von denen sie hätten profitieren können. Etwa zu den Nebeneinkünften von Politikern.
Alle waren am ,,Überwachungsstaat ‘’ beteiligt
Im Abhörskandal reagieren die Freibeuter agiler. Seit Wochen organisieren sie Kryptopartys, wo man lernen kann, wie man Emails verschlüsselt und Daten abhörsicher macht. In Talkshows warnen Piraten wie Anke und Daniel Domscheit-Berg vor dem Überwachungsstaat. Am Samstag wollen sie bundesweit gegen Prism demonstrieren.
Zuvor möchten sie eine DVD mit Verschlüsselungstechnik für die Bürger vorstellen und Lösungsansätze im Kampf gegen die Überwachung vorstellen. „Wir brauchen ein internationales Abkommen für die Überwachungsabrüstung“, nennt die politische Geschäftsführerin, Katharina Nocun, ein Beispiel. Ihrer Meinung nach haben alle etablierten Parteien „kräftig“ an einem Überwachungsstaat mitgebaut. „Das wollen wir in den kommenden Wochen klar herausstreichen“, sagt Nocun.
Was wollen die Piraten sein?
Doch nimmt die netzaffinen Politneulinge überhaupt noch jemand ernst? Sie seien viel zu konfus, kritisiert Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner. Noch immer ist unklar, was die Piraten sein möchten. Chaostruppe? Spaßpartei? Seriöse Bürgerrechtsverfechter? Das kann potenzielle Wähler vergraulen. „Wir wären ein ständiger Untersuchungsausschuss zum Thema Grundrechteabbau“, meint Nocun für den Fall des Bundestagseinzugs.
„Ich glaube nicht, dass die Piraten durch den Abhörskandal auf fünf Prozent kommen“, prognostiziert Schöppner. Er nennt drei Gründe. Demnach gibt es für die Bürger wichtigere Themen als den Abhörskandal. Zudem glaubten viele, dass keine Partei gegen die Sammelwut der Amerikaner ankomme. Zu guter letzt müsse man das Thema bis zur Wahl am Köcheln halten. Das sei eher unwahrscheinlich, meint Schöppner.
Immerhin sei dank Prism auf allen Ebenen ein Ruck durch die Partei gegangen, berichtet Nocun. Nun müssten sich alle zusammenraufen. Dann habe man auch eine Chance auf den Bundestagseinzug. Doch eben mit dem Zusammenhalt und Auslassen von Fettnäpfchen tun sich die Freibeuter bekanntlich schwer.