Berlin. Das Spähprogramm Prism des US-Geheimdienstes NSA überschattet den Besuch des US-Präsidenten in Deutschland. Dabei geht es längst um mehr als die Frage, ob eine Regierung die persönlichen Daten auch deutscher Internet-Nutzer auswerten darf. Es geht um eine technologische Revolution, gegen die eine einzelne Regierung machtlos ist. Diese Revolution hat, wie jede epochale Umwälzung, gute und böse Seiten.
Gegen Barack Obama war George Orwells Big Brother ein Waisenknabe. Technologisch jedenfalls. Der Große Bruder von 1948 hatte nur Kameras, Mikrofone und Spione, mit deren Hilfe er seinen Überwachungsstaat einrichten konnte. Der US-Präsident kann seine Überwachungsmaschinerie mit Hunderten von Milliarden Daten füttern, die er von uns allen hat. Allerdings haben wir unsere Daten nicht Obama gegeben. Er hat sie sich genommen. Der US-Präsident ist ein Datendieb. Bestraft werden kann er dafür nicht. Der internationale Datenklau ist legal.
Das ist die eine, die böse Seite eines neuen Phänomens, das Big Data heißt, weil Regierungen und Firmen inzwischen aus unvorstellbar großen Datenmengen ihre Schlüsse ziehen können. Die gute Seite von Big Data sieht so aus: Die Datenfahnder trieben Bin Laden in Pakistan auf. Der US-Geheimdienst NSA leitete den deutsch-pakistanischen Mail-Verkehr der Sauerland-Terroristengruppe an den Bundesnachrichtendienst weiter. Mit Datenanalysen machen US-Polizisten amerikanische Städte sicherer. Und so weiter.
Die Daten kommen von uns, ob wir wollen oder nicht. Jeder Nutzer nicht nur sozialer Netzwerke, sondern des Internets überhaupt, hinterlässt Fußabdrücke, die ihn identifizieren und berechenbar machen. So verkauft Amazon uns heute schon Bücher, bevor wir wissen, dass wir sie wollen. Die Spielekamera der neuen X-Box ist auch eine potentielole Überwachungskamera. Jedes Smartphone und Navi ist zugleich eine Wanze. Wer glaubt, beim Telefonieren nur zu telefonieren, ist naiv. Wer telefoniert, füttert eine gigantische Datenmaschine.
Die Welt wird smarter
Unsere Welt wird intelligenter, Experten sagen: smarter. Ein Hafen kann viel mehr Schiffsladungen abfertigen, weil die Schiffe dem Hafen automatisch mitteilen, wann sie mit wie viel Ladung ankommen. Das nutzt auch der Umwelt. Es wird auf unseren Straßen weniger Staus geben, weil die große Maschine weiß, wer wann wo lang fährt und den Verkehr möglichst staufrei lenken kann. Im Supermarkt liegt nur noch frisches Brot, weil bekannt ist, wann wir es kaufen. Niemals ist die Milch älter als ein Tag. Ärzte können Krebs besser behandeln, weil sie unsere Genome in Minuten statt Monaten entschlüsseln und weltweit Krebsarten und Therapien abgleichen können.
Diese Big-Data-Revolution ist sehr viel mehr als Obamas Datenraub. Am Anfang von Revolutionen weiß man nie, wie sie ausgehen. Was nach mehr Lebensqualität aussieht, kann auch auf größere Fremdbestimmung hinauslaufen. Und wir:? Können uns der großen Welle gar nicht entziehen. Tsunamis lassen sich nicht abschalten. Gegen eine große, schlau Flut helfen nur intelligente Dämme.