Düsseldorf. . In einer Düsseldorfer Messehalle wird der Mensch in der Menge erforscht: 2500 Probanden simulieren Fußgänger-Ströme, für mehr Sicherheit von Großveranstaltungen. Die Wissenschaftler erhoffen sich Erkenntnisse, die dabei helfen, Katastrophen wie die Loveparade von Duisburg zukünftig zu vermeiden.

Stau ist, wenn aus allen vier Ecken Studenten kommen, und jeder will stur geradeaus. Jedenfalls „vermuten wir das, aber wissen tun wir es auch nicht“, hat der Forscher Bernhard Steffen gesagt, aber schon eine Stunde später ist er schlauer: Da sind die Studenten gestrandet in der Mitte der Kreuzung. Nur kreuzen sie sich nicht, sie stehen, würden wohl schieben, wenn das hier das echte Leben wäre. Es ist aber eine Versuchsanordnung. Die vielleicht Leben retten kann, demnächst.

Wie viele Menschen machen einen Menschenauflauf?

Denn das hier ist kein Spiel, auch wenn es so klingt: „Basigo“ ist ein „Baustein für die Sicherheit von Großveranstaltungen“, es geht um Menschenmengen und ihre zuweilen endliche Dynamik. Konkret um die letzte Loveparade, wo die Massen außer Kontrolle gerieten, 21 Menschen erdrückten, 500 verletzten. Aber auch um jedes größere Fußballspiel. Die Wissenschaft will wissen, was man bis Duisburg nur schätzen konnte: Wie viele Menschen machen einen -auflauf? Wann wird aus Enge Gedränge?

Massenexperiment Drängeln

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    Warum aus Autos eine -schlange entsteht, hat die Stauforschung hinlänglich geklärt, aber über Leute, die laufen, sagt Prof. Gebhard Rusch, „wissen wir nichts“. Der Fußgänger, das unbekannte Wesen. Das intuitiv entscheidet, das jedenfalls ungeregelter ist als jedes Auto in seinen geordneten Spuren. Und das nun durch diese Düsseldorfer Messehalle spaziert auf kurzbehosten Beinen, auf dem Kopf eine nicht eben kleidsame Mütze: ein Stoffhütchen mit einer Art Barcode, das gestandene Doktoren den Probanden unschön ins Gesicht ziehen, damit 24 Kameras unter der Decke jeden identifizieren können. „Auf fünf Zentimeter genau“, sagt Dr. Steffen ein bisschen stolz, 25 Bilder pro Sekunde.

    Neben der Technik haben sie dafür auch die Disziplin erfunden: „Die Fachrichtung gab es gar nicht“, sagt Prof. Armin Seyfried, der Physiker ist und sich unverhofft mit Geisteswissenschaftlern im Gespräch sieht. Auf dass sie gemeinsam herausfinden mögen, wie viele Menschen auf einen Platz, eine Straße, in einen Tunnel (!) bestimmter Größe passen. Bisherige Berechnungen hätten da geschwankt, so Seyfried, „eine große Unsicherheit“. Zudem wollen sie erfahren, ob Leute sich lenken lassen durch Gelerntes: Macht eine Säule in der Straßenmitte automatisch einen Kreisverkehr?

    Abends heiße Füße

    2500 Probanden haben sie dafür gesucht, Studenten zumeist, die vier Tage durch die Halle gehen. „Abends haben die heiße Füße“, so Steffen. Heiß ist ihnen auch morgens schon, als sie Testläufe machen zwischen nackten Messebau-Teilen: Man erkennt sie später an ihrem aufrechten Gang. Oder am Schlendern. Oder am Stechschritt. „Wie von der Vorlesung zur Mensa“ sollen sie gehen, sagt Prof. Rusch, nicht bummeln also! Dann lässt er sie aufeinander los.

    Durch enge Pforten zunächst, da begegnen sich von 350 in der Mitte nicht viele. Als aber die Tore weit werden, ist nach Sekunden: Stau. Von oben, mit ihren Mützen, sehen die Menschen jetzt aus wie Lottokugeln. Ohne Entkommen – sie sind hineingelaufen, aber an den Ausgängen kommt keiner mehr hinaus. „Normale Fußgängerzone“, sagt Svenja da noch, aber Paul steht der Schweiß auf der Stirn: „Sowas ist immer Sch... Kann ich nicht haben, wenn da so viele kommen.“

    Man mag es mutig finden, dass er mitmacht, Paul tut es für die Wissenschaft – und für Geld: 50 Euro am Tag fürs Hin- und-Her-Gerenne. Christian sagt: „Jedes Konzert oder Stadion ist voller, ich habe schon schlimmere Situationen überlebt.“ Aber so lange das nicht für jeden gilt, wird „Basigo“ forschen. Wenn auch unter Bedingungen „von hoher Künstlichkeit“: Musik könnten sie in der Messe noch machen, aber den Übergang simulieren von Sommerlaune in pure Panik, das können sie nicht.