Washington/Brüssel. Edward Snowden ist in Hongkong zunächst sicher: Nach der Enthüllung über Datenspionage des US-Geheimdienstes könnte die Auslieferung Monate dauern - wenn überhaupt. Beim Besuch von US-Präsident Obama will Merkel den Fall thematisieren. Der Skandal ruft auch Wikileaks-Gründer Assange auf den Plan.
Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der den amerikanischen Spionage-Skandal aufgedeckt und sich nach Hongkong geflüchtet hat, ist in der chinesischen Sonderverwaltungsregion vorerst sicher. Wie Rechtsexperten erläuterten, wäre der 29-Jährige durch das Justizsystem in Hongkong vor einer schnellen Auslieferung an die USA geschützt. Das Verfahren könnte Monate dauern. Noch liegt aber kein Antrag vor. Wo Snowden sich aufhält, war am Dienstag unbekannt.
Ein Gast namens Edward Snowden wohnte vorübergehend im Mira Hotel im Stadtviertel Tsim Sha Tsui, ist aber am Montag ausgezogen, wie Mitarbeiter berichteten. Der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter hatte sich vor drei Wochen von Hawaii nach Hongkong geflüchtet.
Das autonom regierte Hongkong hat - anders als China - zwar ein Auslieferungsabkommen mit den USA, doch könnte sich Snowden unter Hinweis auf politische Verfolgung dagegen wehren und zudem drei Berufungsinstanzen durchlaufen. Eine Auslieferung könnte am Ende auch durch die chinesische Regierung verhindert werden, falls Peking seine nationalen Interessen beeinträchtigt sehen sollte. Snowden könnte in Hongkong auch politisches Asyl beantragen, was ihm ebenfalls viel Zeit schenken würde, auch wenn sein Ersuchen am Ende abgelehnt würde, erläuterten Menschenrechtsexperten.
Snowden hatte die Hafenmetropole nach eigenen Angaben wegen des Engagements der sieben Millionen Hongkonger für freie Meinungsäußerung und das Recht auf abweichende Meinungen als Zufluchtsort gewählt.
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Der langjährige China-Beobachter Johnny Lau Yui-Siu hält es für unwahrscheinlich, dass der junge Amerikaner auf Anweisung Pekings ausgeliefert werden könnte: "Die chinesisch-amerikanischen Beziehungen sind nicht gut genug, als dass Peking die Hongkonger, die sich Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu Herzen nehmen, wieder provozieren würde", sagte Lau der Zeitung "South China Morning Post".
Wikileaks-Gründer Julien Assange rät Snowden zu Asyl in Lateinamerika
Wikileaks-Gründer Julian Assange hat dem Ex-US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden geraten, nach dessen Enthüllungen im US-Abhörskandal Asyl in Lateinamerika zu beantragen. "Lateinamerika hat gezeigt, dass es bei den Menschenrechten vorankommt und eine lange Asyl-Tradition hat", sagte Assange, der selbst in der ecuadorianischen Vertretung in London Asyl erhalten hat, am Montagabend (Ortszeit) in einem Interview des US-Senders CNN. Snowden hatte sich vor drei Wochen nach Hongkong abgesetzt. Seit Montag ist sein Aufenthaltsort unbekannt.
Das vom Snowden aufgedeckte weltweite US-Ausspähprogramm für Internet- und Telefonverbindungsdaten habe keine rechtliche Grundlage, sagte Assange. Auch dürfe man den Beteuerungen von US-Präsident Barack Obama keinen Glauben schenken, dass keine Gespräche mitgehört würden. "Man kann überhaupt keinen Erklärungen trauen, die das Weiße Haus abgibt", sagte Assange. "Niemand hat Obama den Auftrag für eine weltweite Überwachung erteilt."
Die von Assange gegründete Enthüllungsplattform Wikileaks hatte 2010 tausende vertrauliche und geheime Dokumente des US-Militärs und US-Diplomatendepeschen veröffentlicht. Der 41-jährige Australier, der von Schweden in Zusammenhang mit Vergewaltigungsvorwürfen per Haftbefehl gesucht wird, hatte sich vor einem Jahr in die Botschaft Ecaudors geflüchtet. Er fürchtet, von Stockholm in die USA gebracht zu werden, wo ihm lebenslange Haft droht.
Snowden-Skandal soll Thema bei Obama-Besuch in Deutschland sein
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will den Ausspäh-Skandal bei ihrer Begegnung mit US-Präsident Barack Obama zur Sprache bringen. Obama erwarte dadurch aber keine Belastung des Treffens, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Der US-Präsident kommt Dienstag und Mittwoch kommender Woche zu einem Kurzbesuch nach Berlin.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fordert von US-Präsident Barack Obama Aufklärung über das Internet-Spähprogramm des US-Geheimdienstes NSA. "Der Verdacht der überbordenden Kommunikationsüberwachung ist so besorgniserregend, dass er nicht im Raum stehen bleiben darf", schrieb die Ministerin am Dienstag in einem Beitrag für das Internetportal "Spiegel Online". Sie forderte die US-Regierung zu Offenheit und Aufklärung auf. "Alle Fakten müssen auf den Tisch."
"Kurz vor dem Besuch Obamas sind die Deutschen über die Frage beunruhigt, inwieweit die USA den Verkehr im Internet weltweit überwachen", schrieb Leutheusser-Schnarrenberger und fragte: "Stimmt es, wie Medien behaupten, dass faktisch jede Form der Kommunikation im Internet von den USA an der Quelle eingesehen und nachvollzogen werden kann?" Die Justizministerin widersprach zugleich der Aussage Obamas, dass die Bürger nicht 100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre und null Unannehmlichkeiten haben könnten. "Ich teile diese Einschätzung nicht. Eine Gesellschaft ist umso unfreier, je intensiver ihre Bürger überwacht, kontrolliert und beobachtet werden", schrieb Leutheusser-Schnarrenberger.
Der US-Senator und frühere republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain betonte im deutschen Fernsehsender Phoenix die Vorteile der geheimen Online-Überwachung. Jedoch halte er die mangelnde Transparenz für einen großen Fehler. "Ich glaube, dieses Programm ist praktikabel und nützlich, aber das amerikanische Volk und unsere Partner sollten besser informiert werden", sagte McCain.
EU-Justizkommissarin Reding hofft auf mehr Datenschutz in Europa
Derweil hofft EU-Justizkommissarin Viviane Reding auf eine Belebung der Debatte über die Reform der EU-Datenschutzverordnung. "Die Angelegenheit zeigt, dass ein klarer rechtlicher Rahmen zum Schutz persönlicher Daten kein Luxus oder eine Randnotiz ist, sondern ein Grundrecht der Bürger", sagte sie dem "Handelsblatt" (Dienstag). Seit 18 Monaten lägen die Vorschläge für die Reform der Datenschutzverordnung auf dem Tisch. "Es wird Zeit, dass der Rat demonstriert, dass er in der Lage ist, mit hoher Geschwindigkeit und Nachdrücklichkeit ein Vorhaben zur Stärkung der Bürgerrechte abzuschließen."
Mit der neuen EU-Datenschutzverordnung will Reding die Rechte der Bürger an ihren persönlichen Daten stärken. Auch die Erhebung von Daten durch Drittstaaten will die Kommission an einen verlässlichen Rechtsrahmen koppeln. Doch das Projekt hängt seit anderthalb Jahren in den Verhandlungen mit Parlament und Mitgliedstaaten fest. (dpa/afp)