Sofia. Regierungschef Bojko Borissow musste nach heftigen Protesten zurücktreten. Nach der Parlamentswahl liegt seine konservative Partei laut ersten Prognosen wieder vorn. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel an dem Ergebnis.
Nach der Parlamentswahl in Bulgarien zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab. Bei dem Urnengang am Sonntag wurde die konservative Partei des zurückgetretenen Regierungschefs Bojko Borissow laut Nachwahlbefragungen mit etwa 30 bis 32 Prozent stärkste Kraft, sie ist damit allerdings weit von einer eigenen Regierungsmehrheit entfernt. Überschattet wurde die Wahl von Betrugsvorwürfen und gewaltsamen Protesten.
Für Borissows Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) stimmten den auf Nachwahlbefragungen beruhenden Prognosen zufolge 29,6 bis 32 Prozent der Wähler. Die oppositionelle Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) erhielt demnach 25,6 bis 26,2 Prozent. Mindestens zwei weitere Parteien schafften den Sprung über die Vier-Prozent-Hürde: Drittstärkste Kraft wurde den Prognosen zufolge das Sammelbecken der muslimischen Minderheit und der ethnischen Türken MDL mit 9,9 bis 13,4 Prozent, gefolgt von der ultra-nationalistischen Ataka mit 7,0 bis 8,5 Prozent.
Komplizierte Regierungsbildung
Auch eine unabhängige Auszählung durch ein von fünf Oppositionsparteien beauftagtes Institut ergab nach Teilergebnissen von Montagfrüh auf 30,1 Prozent für die GERB, 26,1 für die BSP, 11,6 Prozent für die MRF und 7,8 Prozent für Ataka.
Borissow war im Februar nur wenige Monate vor dem regulären Ende seiner Amtszeit nach massiven Protesten gegen explodierende Strompreise zurückgetreten. Sein Sparkurs hatte die öffentlichen Finanzen saniert, die Wirtschaft im ärmsten Mitglied der Europäischen Union aber abgewürgt.
Wie nach diesen Ergebnissen eine stabile künftige Regierung aussehen könnte, war zunächst völlig unklar. Sollte es Borissow nicht gelingen, eine Koalition zu schmieden, würde der Regierungsauftrag an die Sozialisten gehen. "Die Ergebnisse sind sehr knapp", sagte Andrej Raitschew vom Umfrageinstitut Gallup. Sollte es noch eine fünfte Partei ins Parlament schaffen, könnte sie der "Königsmacher" werden. Beobachter befürchten eine Blockade des Parlaments.
Noch am Sonntagabend gab es erste Proteste gegen den Wahlausgang. Etwa 150 Demonstranten versuchten in Sofia, den Kulturpalast zu stürmen, wo sich das Pressezentrum für Journalisten befand und im Laufe des Abends die wichtigsten Politiker des Landes erwartet wurden. Dabei kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Demonstranten skandierten immer wieder "Mafia!", es wurden Steine und Flaschen geworfen.
Gefälschte Stimmzettel entdeckt
Es zeichne sich die Gefahr ab, dass "das vorherige Parlament der Oligarichie und Mafia, das wir hinausgedrängt haben, wiederkommt", sagte einer der Organisatoren der Proteste, Angel Slawtschew. "Dieses Mal wird es Barrikaden geben, nicht nur Proteste."
Der Urnengang war von massiven Betrugsvorwürfen überschattet. Am Samstag beschlagnahmten Ermittler in einer privaten Druckerei unweit der Hauptstadt Sofia 350.000 gefälschte Stimmzettel. Nach Angaben der Nachrichtenagentur BGNES unterhält der Druckereibesitzer enge Verbindungen zu Borissow. Die Opposition bezichtigte die GERB daraufhin des Wahlbetrugs. "350.000 Stimmzettel entsprechen zehn Prozent der erwarteten Wahlbeteiligung", sagte der Parteichef der Sozialisten, Sergej Stanischew.
Die Wahlkommission wollte das Ergebnis des Urnengangs erst am Montag verkünden. Auch die Einschätzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die ein Großaufgebot an Beobachtern entsandt hatte, wurde für Montag erwartet. (afp)