Damaskus. .
Damals zu Beginn des Arabischen Frühlings gab sich Bashar al-Assad unerschütterlich. Syrien habe größere Probleme als viele arabische Nachbarn, sei dennoch deutlich stabiler. Grund dafür sei die enge Bindung seiner Führung „an die Überzeugungen des Volkes“. Wenn es einen Riss gebe zwischen offizieller Politik und den Interessen der Bevölkerung, entstehe jenes Vakuum, das Unruhen erzeuge, belehrte Syriens Präsident wortreich seine westlichen Interviewpartner. Er jedenfalls habe, prahlte er selbstgewiss, anders als Tunesiens Ben Ali und Ägyptens Hosni Mubarak, vom ersten Tag im Amt mit Reformen begonnen.
Heute, zwei Jahre danach, liegt sein Land in Trümmern. Jahrzehnte von Aufbau, Entwicklung und Wohlstand sind zerstört. 24 Monate unsäglicher Gewalt und Leid liegen hinter der 22-Millionen-Nation. Am 15. März 2011 hatten die Bürger bei ihrer ersten landesweiten Massendemonstration noch mit heroischem Mut versucht, sich nicht provozieren zu lassen, ihre Rechte gewaltfrei einzufordern. Wochenlang trotzten sie den Schüssen der Sicherheitskräfte, den Greifkommandos des Regimes sowie den systematischen Folterkampagnen.
„Kollaps der Kindheit“
Dieses zivile Aufbegehren jedoch ist längst Geschichte, untergegangen in einem schier endlosen Strom von Bestialität. Hatten nach einem Jahr im März 2012 bereits 8500 Frauen, Männer und Kinder ihr Leben verloren, sind es jetzt Ende des zweiten Jahres bereits zehnmal so viele – ohne dass irgendeine Lösung in Sicht wäre. „Wir dürfen nicht noch ein weiteres Jahr verlieren“, flehte das UN-Kinderhilfswerk Unicef und beklagte „den Kollaps der Kindheit für Millionen Heranwachsender“. Denn die Schlachten toben überall, auch in Damaskus. Städte wie Aleppo, Homs, Hama, Deraa und Deir Ezzor sind schwer verwüstet und müssen teilweise ganz neu aufgebaut werden. Die syrische Armee ist demoralisiert und erschöpft, Wehrpflichtige lassen sich kaum noch rekrutieren. Trotzdem herrscht seit Monaten ein militärisches Patt. Denn den Rebellen fehlt es an Waffen und Munition, ihre politische Führung ist tief zerstritten. Auf eine provisorische Exilregierung können sich die verschiedenen Lager trotz mehrerer Anläufe nach wie vor nicht einigen.
Soldatinnen in Syrien
Stattdessen machte Oppositions-Chef Moaz al-Khatib im Januar überraschend ein Gesprächsangebot an das Assad-Regime. Die Antwort aus Damaskus war ausweichend und nebulös, dafür die Kritik in den eigenen Reihen an dem intellektuellen Geistlichen umso härter. Inzwischen halten sich Gerüchte, al-Khatib wolle die Brocken ganz hinwerfen.
Gleichzeitig zieht der Massenexodus aus Syrien sämtliche Nachbarstaaten immer stärker in Mitleidenschaft. Mindestens eine Million Menschen haben sich bisher in Libanon, Türkei, Irak, Jordanien und Ägypten in Sicherheit gebracht – die größte Flüchtlingskatastrophe in der modernen Geschichte des Nahen Ostens.
Millionen auf der Flucht
Weitere vier Millionen irren ohne Dach über dem Kopf im Inneren des Bürgerkriegslandes herum, die Hälfte von ihnen Heranwachsende unter 18 Jahren, 500 000 sind Kleinkinder unter fünf. Hunderttausende haben alles verloren, ihre Angehörigen, ihre Existenz und ihr Vertrauen in die Zukunft.
Mittlerweile scheinen die Tage des Regimes gezählt – doch sein Kollaps könnte noch Monate, vielleicht Jahre auf sich warten lassen. Und selbst wenn Assads Machtgefüge eines Tages zusammenbricht, Anarchie, Bandenherrschaft, Drogen- und Waffenhandel werden folgen und – am schlimmsten von allem – Rachefeldzüge und ethnische Massaker.
Zehn Jahre nach dem Einmarsch der US-Armee in den Irak steht mit Syrien ein weiteres Land der orientalischen Kernregion vor dem inneren Zerfall, der Auflösung staatlicher Strukturen und der Zerstörung seines über Jahrhunderte gewachsenen Gewebes an interreligiösem und interkulturellem Zusammenleben.
UN-Syrienvermittler Lakhdar Brahimi jedenfalls nahm Anfang der Woche im Gespräch mit den EU-Außenministern kein Blatt vor den Mund: „Entweder wir erreichen eine friedliche, einvernehmliche, politische Lösung oder die Situation wird ähnlich wie in Somalia oder sogar schlimmer“.