Berlin. Piraten-Chef Bernd Schlömer macht den Bundesvorstand seiner Partei zumindest teilweise mitverantwortlich für die aktuelle Krise der Piraten. Der Vorstand habe sich zu viel mit sich selbst beschäftigt, sagt er und spricht im Interview über die Themen, die er im Wahlkampf setzen will.

Pleiten, Pannen, Personalzoff: Die Piraten stecken in der
Krise.
Nun rechnet Partei-Chef Bernd Schlömer mit dem Bundesvorstand ab: Der
eine oder andere sei seinen Aufgaben vielleicht nicht gewachsen, sagt Schlömer
im Interview mit der WAZ Mediengruppe. Dennoch hofft er, dass die Freibeuter bei der
Bundestagswahl auf 6 bis 6,5 Prozent kommen. Dazu möchte er mit
Verbraucherschutz und bezahlbaren Mieten punkten und setzt in der
Steuerpolitik auf Umverteilung.

70 Prozent der Bürger halten die Piraten für überflüssig.
Nennen Sie doch bitte drei Gründe, warum man die Freibeuter braucht.

Bernd Schlömer: Wir sind unverzichtbar, weil wir unbelastet
Politik machen können, die Bürger
beteiligen möchten und lieb gewonnene Strukturen der anderen Parteien infrage
stellen wollen.

Die Piraten sind in den Umfragen von 13 auf drei Prozent
abgestürzt. Was ist passiert? Hat der Vorstand versagt?

Schlömer: Ich sehe das nicht so. Es gab Querelen im Vorstand und in
der Gesamtpartei. Wir haben uns zu sehr mit uns selbst beschäftigt, deshalb
sind die Leute weggelaufen. Man darf aber nicht vergessen: Die Piraten sind
2012 unglaublich stark gewachsen. Da war
es klar, dass es auch Probleme geben würde. Viele Menschen haben uns zudem als
Projektionsfläche ihrer eigenen Ideen gesehen.

Johannes Ponader "war demokratisch legitimiert"

Aber der Vorstand machte wiederholt mit Querelen von sich
reden.

Schlömer: Wir haben uns nicht so dargestellt, wie es nötig gewesen
wäre, damit Menschen uns für wählbar halten. Der eine oder andere
Bundesvorstand  ist und war vielleicht
seinen Aufgaben auch nicht gewachsen.

Ihr politischer Geschäftsführer Johannes Ponader war hoch
umstritten. War er der Richtige im Amt?

Schlömer: Er war durch Wahlen demokratisch legitimiert.

Bei einer Online-Umfrage an der Basis hat Ponader bei mehr
als jeder zweiten Bewertung eine Sechs bekommen. Was würden Sie an seiner
Stelle tun?

Schlömer: Johannes Ponader hat
jetzt mit seiner Rücktrittsankündigung
eine richtige Entscheidung getroffen. Er
kann jetzt in Ruhe seine laufenden Projekte beenden und einem Nachfolger einen
guten Start bereiten. Ich bin mir sicher, dass er bei seiner Entscheidung das
Wohlergehen der Partei im Auge hatte.

Warum die Kritik der Piraten-Basis Bernd Schlömer enttäuscht

Könnten die Piraten ohne politischen Geschäftsführer
Wahlkampf machen?

Schlömer: Die Piraten sind nicht auf einzelne Funktionen angewiesen.
Ich würde mir wünschen, dass wir jetzt genau überlegen, welche Aufgaben ein
politischer Geschäftsführer zukünftig wahrnehmen sollte. Ich könnte mir gut
vorstellen, dass es ein nach innen gerichteter Auftrag ist, die
innerparteiliche Meinungsbildung besser zu organisieren.

Die Piraten gehen nicht erst seit dem Online-Voting mit dem
Vorstand brutal ins Gericht. Im Internet wurden Sie schon als „Arschloch“
beschimpft. Sind Sie von der Basis enttäuscht?

Schlömer: Ich finde Kritik gut, aber von der Form bin ich enttäuscht.
Ich hatte immer gehofft, dass die Piraten einen anderen Politikstil prägen.
Dass man mit Vernunft an Probleme herangeht.

Piraten-Spitzenkandidaten als "Sympathieträger"

Welche Rolle werden die Köpfe im Wahlkampf spielen?

Schlömer: Die Spitzenkandidaten sollen als Sympathieträger unsere
Themen transportieren. Melanie Kalkowski aus NRW zum Beispiel kann als
Finanzbeamtin sicher Finanz- und
Steuerpolitik gut vorstellen. Oder Bruno Kramm kann als Musiker das Thema
Urheberrecht vertreten und Anke Domscheit-Berg das Thema Open Government.

Das Piraten-Mantra „Themen statt Köpfe“ ist also überholt?

Schlömer: Wir sollten künftig auch auf „Themen durch Gesichter“
setzen.

Fehlt den Piraten
eine Marina Weisband?

Schlömer: Marina glaubt an den langfristigen Erfolg der Piraten, weil
wir eine gegenüber anderen Parteien 
überlegene Methode der Meinungsbildung anwenden. Ich werde sie noch
einmal fragen, inwieweit sie sich in den Wahlkampf einbringen möchte. Sie kann
die Politik der Piraten sehr plastisch
und überzeugend vertreten. Wir haben aber auch viele andere überzeugende Kandidaten und Mitglieder.

Piraten wollen eine Million Euro in den Wahlkampf investieren

Wie wird der Wahlkampf der Piraten aussehen?

Schlömer: Unser Budget beträgt eine Million Euro. Es gibt den
klassischen Wahlkampf mit Plakaten, Flyern, Infoständen. Für das Internet
möchte  ich ein Debatteninstrument und
Votingdays vorschlagen. Wir sollten virtuelle Debatten führen, sie bei Youtube
einstellen und die Öffentlichkeit um Bewertung bitten. Es geht mir um digitale
Beteiligung. Das bieten andere Parteien nicht an.

Auch andere Parteien setzen auf Bürgerbeteiligung. Die SPD
hat eine Million Postkarten verteilt, um Ideen von Bürgern zu sammeln. Wie
bewerten Sie das?

Schlömer: Die SPD hat sich bisher nicht durch Bürgerbeteiligung
profiliert. Die anderen Parteien müssen extrem aufpassen, dass sie Beteiligung
nicht nur vorgaukeln. Politik läuft nicht über Postkartenaktionen oder über
Ideenforen, wenn die Ideen der Bürger dann nicht umgesetzt werden. Das
frustriert nur die Bürger.

Piraten wollen im Wahlkampf mit Verbraucherschutz-Themen punkten

Auf welche Themen werden die Piraten im Wahlkampf setzen?

Schlömer: Ich denke, die Schwerpunkte werden in den Bereichen
Transparenz, Korruptionsbekämpfung, Mitbestimmung, Wahrung von Bürger- und
Grundrechten sowie der gesellschaftlichen Teilhabe liegen.

Etwas konkreter bitte. Wie sieht es mit Ideen abseits Ihrer
bisherigen Kernforderungen aus?

Schlömer: Wir sollten beim Thema Transparenz den Verbraucherschutz in
den Vordergrund rücken. Die Bürger müssen mehr Einsicht in die
Lebensmittelüberwachung bekommen. Ich stelle mir auch eine Ampel für
Lebensmittelhygiene vor, aus der die Bürger entnehmen können, welche
Gaststätten da Probleme haben.

Wir sollten uns in der Sozialpolitik mit dem Thema
bezahlbare Mieten stärker befassen.  Die
Bundesregierung könnte zum Beispiel ihre Grundstücke nicht weiter zu
Marktpreisen verkaufen, sondern sie in Ballungsgebieten für den sozialen
Wohnungsbau günstig bereitstellen. Im Kampf für bezahlbare Energiepreise würde
ich mir wünschen, dass sämtliche Vergünstigungen für Unternehmen aufgehoben
werden, wie beispielsweise bei der EEG-Umlage.

Einfaches, klares, transparentes Steuersystem

Wird das Wahlprogramm Grundsätze zur Steuerpolitik
beinhalten?

Schlömer: Das würde ich mir wünschen. Das Steuersystem muss einfach,
klar und transparent sein und sozial gerechter gestaltet sein. Steuern müssen
steuern, sie müssen umverteilen. Hohe Einkommen müssen stärker besteuert
werden, um gemeinwohlorientierte und soziale Vorhaben finanzieren zu können.
Etwa den Kitabetrieb. Denkbar wäre ein höherer Spitzensteuersatz für
Gutverdiener oder eine Vermögenssteuer. Unser Steuersystem sollte Ausdruck
eines sozialliberalen Verständnisses von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft
sein.

Die Piraten tendieren da also klar zu Rot-Grün.

Schlömer: Ich habe die Piraten nie als konservativ, sondern als
sozialliberale Kraft der Informationsgesellschaft beschrieben. Wir müssen uns
im Wahlkampf aber positiv abgrenzen von Rot-Grün, etwa durch andere Aktionen
oder interessante Kampagnen. Das ist die Herausforderung. Es wird ohnehin schwer,
uns im Lagerwahlkampf profiliert darzustellen.

Piraten-Mitgliedsbeiträge sollen auf lange Sicht deutlich steigen

Sie haben gesagt, sie wollen nun um Grünen-affine Wähler
werben. Warum sollten diese die Piraten wählen?

Schlömer: Wir sind nicht so machtorientiert wie Führungskader der
Grünen und haben in der Netz-, Umwelt- und Energiepolitik Überschneidungen.
Hier können Grünen-affine Wähler auch eine Heimat bei den Piraten finden. Vor
allem diejenigen, die befürchten, dass die Grünen mit der Union koalieren.

Schlömer wünscht sich sechs bis 6,5 Prozent

Was wäre Ihr Wunschergebnis bei der Bundestagswahl?

Schlömer: Sechs bis 6,5 Prozent.

Die Piraten haben kein bindendes
Online-Abstimmungsverfahren. Sind sie so zukunftsfähig?

Schlömer: Nein. Ich würde mir wünschen, dass wir schon auf dem
Parteitag im Mai die Satzung so ergänzen, dass internetgestützte
Entscheidungsverfahren oder Online-Parteitage möglich werden. Das würde unsere
Arbeitsweise viel effektiver machen. Das erwarten die Menschen auch von uns.

Die Piraten sind klamm. Die Mitgliedschaft kostet 48 Euro im
Jahr. Müssen die Piraten auf Dauer höhere Beiträge erheben?

Schlömer: Darauf wird es wohl hinauslaufen. Wenn wir mit
professionellen Strukturen arbeiten wollen, brauchen wir einen
durchschnittlichen Mitgliedsbetrag von etwa 100 Euro im Jahr. Andernfalls
können wir den Grundbetrieb der Partei auf Dauer nicht sicherstellen. Derzeit
verschleißen wir ganz viele ehrenamtliche Kräfte. Es wird Zeit, dass wir unsere
Mitarbeiter für administrative Aufgaben, den IT-Betrieb oder die Pressearbeit
endlich bezahlen. Damit müssen wir uns nach der Bundestagwahl befassen.

Sollten auch die Vorstände bezahlt werden?

Schlömer: Nein. Ich brauche kein Gehalt als Vorstand. Als Vorstände
sind wir ohnehin schon privilegiert.