Essen. . Ab 2014 gilt auch für Rumänen und Bulgaren die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa. Doch in vielen Städten haben sich auch viele Armutsflüchtlinge niedergelassen. Im nächsten Jahr sind sie sozialhilfeberechtigt. Die Städte fühlen sich mit den Kosten allein gelassen.
Auf viele Städte in NRW kommen ab Januar 2014 neue Kosten in Millionenhöhe zu. Ab diesem Datum gilt die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen in Europa.
Bisher dürfen die Zuwanderer – bis auf wenige Ausnahmen in der Landwirtschaft und Gastronomie – nur auf selbstständiger Basis tätig sein. Der Großteil ist arbeitslos oder verdingt sich als Tagelöhner in der Schattenwirtschaft. Anspruch auf staatliche Unterstützung besteht mit Ausnahme des Kindergeldes in der Regel nicht. Bis 2014.
„Es ist auf Grund der Herkunft und Qualifikation der Zugewanderten davon auszugehen, dass der Großteil dann Sozialleistungen beziehen wird“, sagt Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zoerner. Die Kosten für Unterkunft, Heizung und medizinische Versorgung der häufig nicht krankenversicherten Menschen sind von den Kommunen zu übernehmen. Die Stadt Dortmund geht langfristig von jährlich 1,1 Millionen Euro pro 100 Fälle aus. In Dortmund leben zurzeit etwa 3000 Bulgaren und Rumänen.
„Fühlen uns im Stich gelassen“
Doppelt so viele sind es in Duisburg. Hier rechnet man mit zusätzlichen Ausgaben inklusive Fördermaßnahmen für Bildung und Integration von insgesamt 18,7 Millionen Euro pro Jahr. Für eine Stadt, die sich im Haushaltssicherungskonzept befindet, ein dicker Brocken. „Wir fühlen uns von Land, Bund und der EU im Stich gelassen“, sagt Leyla Özmal, Leiterin des Referats Integration.
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Brüssel und die Bundesregierung hätten die Zuwanderer als Arbeitnehmer und nicht als Leistungsempfänger gesehen. Bisher sei keine finanzielle Unterstützung von Städten vorgesehen, die besonders von der Zuwanderung von Menschen aus Südost-Europa betroffen sind.
Der Deutsche Städtetag sieht den sozialen Frieden durch die Zuwanderung gefährdet. Christian Ude, Präsident des Städtetags, forderte eine Diskussion auf europäischer Ebene, wie in den Herkunftsländern die Lebensbedingungen verbessert werden können, um Armutswanderungen innerhalb der EU unnötig zu machen. Außerdem bräuchten die betroffenen Städte Unterstützung von Bund, Ländern und EU, um bestehende Probleme durch die Zuwanderung bewältigen zu können: „Es müssen sowohl die Lebensverhältnisse in den Herkunftsländern verbessert werden als auch Bedingungen geschaffen werden, die hierzulande kommunales Handeln ermöglichen“.
Schwerpunkte Duisburg und Dortmund
Umfrage Zuwanderung 15.2.2013Mit der Hoffnung auf ein besseres Leben sind in den vergangenen Jahren tausende Bulgaren und Rumänen ins Ruhrgebiet geströmt. Lebten 2007 noch 9263 Bulgaren und 13 942 Rumänen an Rhein und Ruhr, waren 2011 laut Statistischem Landesamt 19 350 Menschen aus Bulgarien und 27 628 aus Rumänien registriert.
Ein Großteil der Zuwanderer aus diesen Ländern sind Roma. Sie leben in Bulgarien und Rumänien am Rande der Gesellschaft, häufig in prekären Verhältnissen. Ohne regelmäßig fließendes Wasser und Strom. Sie haben sich nach Deutschland aufgemacht und sind neben Berlin und Köln auch in der Dortmunder Nordstadt oder in Duisburg-Hochfeld gelandet.
Viele Roma wohnen zusammengepfercht in abbruchreifen Häusern
Regelmäßig hat die WAZ Mediengruppe über die Zustände vor Ort berichtet. Die Roma wohnen zum Teil eng zusammengepfercht in abbruchreifen Häusern unter hygienisch ähnlich prekären Verhältnissen wie in ihren Herkunftsländern. Allein die Inobhutnahmen von 45 Kindern aus den heruntergekommenen Wohnungen habe die Stadt Dortmund 2011 rund eine Million Euro gekostet. Langfristig geht die Stadt von 2,2 Millionen Euro jährlich aus.
Nach einem Sachstandbericht der Stadt Duisburg nehmen die Zuwanderer ihre Wohnsituation nahezu klaglos hin. Die Überbelegung der Wohnungen sorgt für Ärger bei den Nachbarn und für eine Verwahrlosung der Viertel: Zwischen Januar und September 2012 wurden 1600 wilde Müllkippen beseitigt. Im gesamten Jahr 2011 waren es noch etwa 1300. „Das auch damit zu tun, dass die Zuwanderer nicht ausreichend darüber informiert werden, wie die Müllentsorgung hier funktioniert“, sagte Leyla Özmal, Leiterin des Referats für Integration bei der Stadt Duisburg.
Sie wünscht sich, dass man in NRW ähnlich wie in Berlin gesetzlich gegen die „Matratzenvermietung“ von Wohnraum vorgehen könnte. Dort gelten Wohnungen ab einer bestimmten Belegungszahl nun als Beherbergungsstätte. Somit können strengere Anforderungen etwa für Brandschutz geltend gemacht werden, was die Vermietung in den teils abbruchreifen Häusern unattraktiv macht. In NRW ist der Wohnraum noch privatrechtlich geregelt. Laut NRW-Bauministerium befinde man sich mit Berlin im Austausch, eine Änderung des Wohnungsaufsichtsgesetzes sei jedoch nicht geplant.
Fehlender Versicherungsschutz
Ein weiteres Problem, das die Kommunen allein lösen müssen, ist die medizinische Versorgung der Zuwanderer. „Laut EU-Vertrag müssten sie alle krankenversichert sein. Viele sind es nicht, bei den anderen ist es unglaublich schwierig den Versicherungsschutz aus der Heimat nach Deutschland zu übertragen“, sagt Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zoerner. Krankenhäuser blieben so auf ihren Rechnungen sitzen.
Aus ihrer Sicht sei der größte Fehler in Brüssel bei den Beitrittsverhandlungen von Rumänien und Bulgarien gemacht worden. „Eine Armutswanderung EU–Bürgern war einfach nicht vorgesehen“. Sie hat für den Deutschen Städtetag, die Probleme der Kommunen vor neu gebildeten Bund-Länder-Gruppe „Armutswanderung aus Osteuropa“ vertreten. „Wir wollen dadurch erreichen, dass die Ebenen von den Städten bis Brüssel enger zusammenarbeiten.“ Die ersten Forderungen der klammen Städte sind langfristige Finanzierungsmodelle für Hilfsprojekte vor Ort und in den Heimatländern der Zuwanderer sowie angesichts eines europäischen Arbeitsmarkts auch eine Diskussion über ein europäisches Sozialhilferecht.