Essen. Das Thema Fracking erhitzt die Gemüter in Deutschland. Im Bundesrat hat sich NRW mit einem Antrag durchgesetzt, wonach jeder Fracking-Bohrung eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschaltet sein muss. Im Gastkommentar zeigt US-Botschafter Philip Murphy, wie Fracking in den USA betrachtet wird.
Mitte November veröffentlichte die Internationale Energieagentur (IEA) ihren Jahresbericht zum Weltenergieausblick, der einige bemerkenswerte Aussagen über die Entwicklungen in der Öl- und Gasindustrie in den Vereinigten Staaten enthält, insbesondere zu den Folgen unkonventioneller Vorgehensweisen bei der Öl- und Gasförderung. Der Bericht fand erhebliche Beachtung und führte zu einer breiteren öffentlichen Diskussion über das Thema.
Ich erzähle meinen deutschen Freunden nun tatsächlich schon seit einiger Zeit von den Auswirkungen einer durchaus realen amerikanischen Energiewende. Die amerikanische Energielandschaft wurde durch die zunehmende Durchführung von Richtbohrungen und hydraulic fracturing, besser bekannt als fracking, verändert. Diese technischen Verfahren werden angewandt, um Erdgas und Erdöl zu gewinnen, die normalerweise mehrere Kilometer unter der Erdoberfläche in Schiefergestein gespeichert sind. Dem Bericht der IEA zufolge werden die Vereinigten Staaten in fünf Jahren voraussichtlich mehr Erdgas als Russland und mehr Öl als Saudi-Arabien produzieren. Folglich geht die IEA davon aus, dass die Vereinigten Staaten bis 2035 „energieunabhängig“ sein werden.
Diese sehr guten Neuigkeiten haben enorme Konsequenzen für die Vereinigten Staaten, die Weltwirtschaft und die Umwelt.
Die Schiefergas- und Ölrevolution in den Vereinigten Staaten hat, einigen Schätzungen zufolge, bereits zur Schaffung von 1,7 Millionen neuen Arbeitsplätzen in der Öl- und Gasindustrie beigetragen. Wichtiger für den Durchschnittsverbraucher ist jedoch, dass größere Gasreserven aus der Schiefergasgewinnung den Preis für Erdgas drücken, was günstigeren Strom und geringere Heizkosten für die Haushalte bedeutet. Geringere Energiekosten bedeuten für die amerikanischen Verbraucher, mehr Geld für Anderes zur Verfügung zu haben. Landesweit haben die niedrigeren Erdgaspreise in den letzten zehn Jahren zu mehr als einem Prozent zusätzlichem Wachstum pro Jahr geführt. Niedrigere Energiepreise führen in den Vereinigten Staaten zu einer „Re-Industrialisierung“, da das herstellende Gewerbe Investitionen von bis zu 80 Milliarden US-Dollar in US-Chemie-, Düngemittel-, Stahl-, Aluminium- und Kunststofffabriken plant, und die Exportzahlen dieser Güter schnellen in die Höhe.
Von Leitungswasser, das Feuer fängt
Wir sind uns auch bewusst, dass die neue Technologie des Fracking, trotz der eindrucksvollen Vorteile der Schiefergas- und Ölrevolution für das Wirtschaftswachstum und die Energiesicherheit, sicher und vorsichtig eingesetzt werden muss. Niemand will verunreinigtes Wasser trinken, verschmutzte Luft atmen oder Opfer eines von Menschen verursachten Erdbebens werden.
Voriges Jahr bat Präsident Obama Energieminister Steven Chu, einen „Blue-Ribbon-Ausschuss“ einzurichten, der die Sicherheit und Umweltverträglichkeit des hydraulic fracturing untersuchen sollte. Der Ausschuss befasste sich mit drei umweltpolitischen Fragen – Abwasser, Luftverschmutzung und den Auswirkungen auf die umliegenden Gemeinden – und empfahl die Umsetzung einiger bewährter Verfahren. Zu den Empfehlungen zählten ordnungsgemäß versiegelte Brunnenschächte, die Verringerung des Wasserverbrauchs und eine engere Zusammenarbeit mit den Kommunen vor Ort. Im Internet kursieren Videos über Leitungswasser, das „Feuer fängt“. Es hat sich gezeigt, dass so gut wie nie fracking die Ursache war, sondern Bewohner ländlicher Gebiete, die Brunnen bohrten und dabei versehentlich auf ein natürliches Methanreservoir stießen. In einigen wenigen Fällen kam es durch unzureichend versiegelte Brunnen auch zum Austritt von Methan, wodurch noch deutlicher wird, wie wichtig die Umsetzung bewährter Praktiken ist.
Unsere Energierevolution hat auch dazu beigetragen, die Treibhausgasemissionen in den Vereinigten Staaten zu verringern. Bei der Stromerzeugung in den Vereinigten Staaten ersetzt Erdgas mittlerweile in vielen Fällen Kohle, und bei der Stromerzeugung mit Erdgas werden nur halb so viele Treibhausgase freigesetzt wie bei der Verwendung von Kohle. Statistiken der US-Behörde für Energiefragen (U.S. Energy Information Administration) zeigen, dass die durch Energieverbrauch erzeugten Emissionen (98 Prozent aller Emissionen) in den ersten sechs Monaten dieses Jahres im Vergleich zum gleichen Zeitraum vor fünf Jahren um fast 14 Prozent gesunken sind. Die Emissionen in den Vereinigten Staaten befinden sich wieder auf dem Niveau von 1992, dem Jahr, in dem der Umweltgipfel in Rio stattfand.
USA exportiert nun in die Exportinfrastruktur von Flüssiggas
Auch die Bedeutung für den globalen Energiemarkt beginnt sich abzuzeichnen: Vor weniger als fünf Jahren investierten US-Firmen in die für den Import von Flüssig-Erdgas erforderliche Infrastruktur. Jetzt investieren sie in die Exportinfrastruktur. Wirklich überwältigend ist die Prognose der IEA, dass die Vereinigten Staaten aufgrund der gesteigerten heimischen Förderung von Schieferöl bis 2030 netto mehr Öl ex- als importieren werden. Gleichzeitig verbrauchen wir aufgrund der von Präsident Obama eingeführten höheren Kraftstoffeffizienzstandards weniger Erdöl für unsere Fahrzeuge. Das verändert das langjährige Muster des US-Energiehandels und wird das US-Handelsdefizit reduzieren. Unsere Ölimporte werden 2012 um 75 Milliarden Dollar geringer ausfallen als im Vorjahr.
Die größere Verfügbarkeit von Erdgas ist kein Allheilmittel. Es ist trotz allem ein fossiler Brennstoff. Seine Verbrennung hat nach wie vor Auswirkungen auf die Umwelt. Wie bei jeder vielversprechenden neuen Technologie müssen wir vorsichtig und klug sein, und wir müssen lernen, teure und gefährliche Fehler zu vermeiden. Wer Schiefergas nutzen will, muss wachsam bleiben. Wir müssen sicherstellen, dass diese durchaus greifbaren Vorteile nicht auf Kosten der Umwelt gehen.
Die neuerdings im Überfluss vorhandenen Erdgasreserven können dazu beitragen, den wirtschaftlichen und umweltpolitischen Druck zu lindern, um schnelle Lösungen für unsere dringlichsten energiepolitischen Bedürfnisse zu finden. Erdgas, das durch den intelligenten und umsichtigen Einsatz unkonventioneller Technologien gewonnen wird, sollte bis zu dem Tag als „Zwischenlösung“ gesehen werden, an dem Energie zuverlässig, nachhaltig und erschwinglich aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden kann.