Kairo. Die von der Muslimbrüderschaft dominierte Verfassungsgebende Versammlung hat im Eiltempo einen Entwurf durchgepeitscht, der den Staat fundamentalistisch-religiös ausrichten würde. Unter anderem ist vorgesehen, die Rechtssprechung an der Scharia zu orientieren.

Die Islamisten in Ägypten haben am Donnerstag im Eilverfahren einem von ihnen ausgearbeiteten Entwurf für die neue Verfassung des Landes zugestimmt. Ohne Beteiligung von Liberalen und Christen, die die Verfassunggebende Versammlung aus Protest gegen die islamistische Ausrichtung des Dokuments verlassen hatten, stimmten sie in einer 16-stündigen Marathonsitzung, die am Freitagmorgen endete, über jeden einzelnen der 234 Artikel ab.

In dem Entwurf werden unter anderem die "Prinzipien der Scharia" als die "wichtigste Quelle der Gesetzgebung" genannt. Zudem werden der Islam zur Staatsreligion und das Arabische zur offiziellen Sprache gemacht. Ausdrücklich wird die Dauer einer Amtszeit des Präsidenten auf vier Jahre festgelegt, wobei eine einmalige Wiederwahl möglich ist. Damit soll künftig jeder Staatschef höchstens acht Jahre im Amt sein. Der Anfang 2011 gestürzte Präsident Husni Mubarak hatte 30 Jahre lang in Ägypten geherrscht.

Machtkampf zwischen Mursi und der Opposition

Mit ihrer schnellen Entscheidung wollen die Islamisten einem drohenden Gerichtsurteil zur Auflösung des Gremiums zuvorkommen und verschärften gleichzeitig den erbitterten Machtkampf zwischen Präsident Mohammed Mursi und der Opposition.

Dieser drohte sich am (heutigen) Freitag auch wieder auf der Straße zu entladen. Die Gegner des Präsidenten kündigten eine Großkundgebung an, am Samstag wollten die Anhänger Mursis einen Gegenprotest abhalten, allerdings nicht wie ursprünglich geplant am Tahrir-Platz in Kairo, um Zusammenstöße mit der Opposition zu vermeiden.

Massive Proteste

Das Durchpeitschen des Verfassungsentwurfs nach einem monatelangen Ringen um das Dokument dürfte die Auseinandersetzung zwischen Mursis islamistischen Anhängern und der mehrheitlich säkularen Opposition und der Justiz des Landes weiter verschärfen. Eine Abstimmung war erst in zwei Monaten erwartet worden, nachdem Mursi der Verfassunggebenden Versammlung zuletzt mehr Zeit für die Ausarbeitung des Dokuments gegeben hatte. Doch das Gremium zog die Abstimmung plötzlich vor, um die Billigung noch vor einem für Sonntag erwarteten Urteil über ihre Auflösung zuvorzukommen. Damit die Verfassung in Kraft treten kann, muss erst ein landesweites Referendum abgehalten werden. Ein Schritt, der laut Mursi "sehr bald" erfolgen soll.

Die Spannungen in Ägypten waren vergangene Woche in einen offen Konflikt umgeschlagen, nachdem sich der Präsident durch eine Reihe von Dekreten nahezu unbegrenzte Macht verliehen und praktisch der Kontrolle der Justiz entzogen hatte. Seine Erlasse hatten zu massiven Protesten und Streiks geführt. Mindestens zwei Menschen kamen seitdem bei Straßenschlachten zwischen Anhängern und Gegner Mursis ums Leben.