Essen. . Je mehr medizinische Eingriffe, desto mehr Geld – die Gleichung erklärt nach Ansicht von Kritikern, warum die Zahl der Operationen in Deutschland sprunghaft steigt. NRW-Gesundheitsministerin Steffens warnt vor „Anreizen aus der Fließband-Produktion“.
In Politik und Ärzteschaft wächst die Kritik an der leistungsbezogenen Bezahlung vieler Chefärzte in Krankenhäusern. Offenbar vereinbaren immer mehr Kliniken mit ihren Chefärzten Sondervergütungen, die ausgezahlt werden, wenn bestimmte wirtschaftliche Zielsetzungen erreicht werden – so wie es in Unternehmen Standard ist.
Das Problem: Es besteht der Verdacht, dass diese Bonuszahlungen Ärzte animieren, medizinisch nicht notwendige Operationen durchzuführen.
"Medizinisch nicht notwendige Leistungen"
Bereits Mitte des Jahres hatte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen eine entsprechende Studie veröffentlicht. Danach nimmt die Zahl an Operationen in den vergangenen Jahren deutlich zu: so sind im vergangenen Jahr 51 Prozent mehr Knie-Operationen und 18 Prozent mehr Hüft-Operationen durchgeführt worden als im Jahr 2003. Nur ein Teil dieser Steigerung lasse sich dadurch erklären, dass die Gesellschaft immer älter werde. „Vieles deutet daraufhin, dass in den Kliniken aufgrund ökonomischer Anreize medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht werden“, so der stellvertretende Verbandvorsitzende Johann-Magnus von Stackelberg.
Ein Vorwurf, den der Krankenhausverband natürlich postwendend und empört zurückwies – gleichwohl gab es auch bei der Hauptversammlung der Ärztegewerkschaft Marburger Bund massive Kritik an der Zunahme von Bonuszahlungen an Chefärzte. So warnte der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio laut „Ärzteblatt“, dass ökonomische Anreize der therapeutischen Freiheit des Arztes zuwider liefen und „das Vertrauen des kranken Menschen in die ärztliche Profession“ gefährdeten. Die Ärztegewerkschaft appellierte deshalb einstimmig an die Kliniken, künftig generell auf sogenannte „fallzahlorientierte Bonuszahlungen“ zu verzichten.
Falsche Anreize
Jetzt erneuerte Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bunds und Präsident der Ärztekammer Nordrhein, diese Kritik: „Ärzte sind zuallererst ihren Patienten verpflichtet und müssen unbeeinflusst von ökonomischen Interessen der Krankenhäuser ihrer Tätigkeit nachgehen können“, sagte Henke der NRZ. Wenn überhaupt Boni gezahlt werden sollten, dann für „medizinische Qualität und Patientenzufriedenheit“, betonte Henke.
Konkrete Zahlen kennt man im NRW-Gesundheitsministerium nicht – die Verträge mit den Chefärzten werden nicht öffentlich gemacht –, gleichwohl kritisiert auch Gesundheitsministerin Barbara Steffens die Praxis der Krankenhäuser scharf: „Bonuszahlungen für Masse statt einer Verbesserung der Qualität sind überhaupt nicht vereinbar mit einer hochwertigen Versorgung“, sagte Steffens der NRZ. Das seien „Anreize aus der Fließband-Produktion, die absolut ungeeignet sind für eine individuelle medizinische Versorgung“.