Berlin. Nach der Anruf-Affäre der CSU beim ZDF gerät die Struktur der öffentlich-rechtlichen Sender in die Kritik. Von der gebotenen Staatsferne könne nicht die Rede sein, mahnen Experten. Sogar Chefredakteure müssen gehen, wenn sie den kontrollierenden Politikern nicht genehm sind.

Was darf sich die Politik im Umgang mit Medien herausnehmen? Seitdem vorige Woche der Parteisprecher der CSU seinen Posten verlor, weil er die Nachrichtenredaktion des ZDF mit einem Anruf unsittlich behelligt haben soll, steht die Frage wieder auf der Tagesordnung. Inzwischen gerät auch das komplizierte Geflecht der ZDF-Strukturen ins Visier.

Sie ist verfassungswidrig: Für den Kölner Staatsrechtler Karl Eberhard Hain steht der Befund außer Frage. Denn so wie die Spitzengremien des ZDF, Fernsehrat und Verwaltungsrat, derzeit zusammengesetzt sind, sprechen sie dem Gebot der „Staatsferne“ Hohn.

Fehlende Staatsferne

Der Rundfunk dürfe „weder dem Staat noch einer oder einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert werden“, der Staat „keinen bestimmenden Einfluss auf das Programm“ gewinnen. So hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach die Anforderungen an einen freien, allein der Information und Meinungsbildung der Öffentlichkeit verpflichteten Rundfunk formuliert. Die Zustände beim ZDF sind, so Hain, eine Karikatur dieses Prinzips.

Dabei seien so plumpe Einmischungen wie die jüngste Anruf-Affäre nicht das eigentliche Problem, meint der Mainzer Publizistikprofessor Hans Mathias Kepplinger. Sie gehörten allerdings zum Redaktionsalltag: Einer Umfrage zufolge, die das Mainzer Institut vor einigen Jahren unter Berliner Korrespondenten machte, hat die Hälfte von ihnen Versuche von Politikern oder Pressesprechern erlebt, auf ihre Berichterstattung einzuwirken.

Einfluss auf die Personalpolitik

„Viel gravierender“ indes sei, so Kepplinger, dass die Struktur der Führungsgremien im öffentlich-rechtlichen System staatlichen Vertretern Einfluss auf die Personalpolitik gewähre. Der Klammergriff der Parteien verstärkte sich noch, als in den siebziger Jahren die Entscheidung fiel, Spitzenpositionen nur noch auf Zeit zu vergeben.

Dies sei zwar mit dem Motiv geschehen, Leistungsanreize zu setzen, habe aber zur Folge gehabt, dass die Stellenvergabe zum „Spielball der dominierenden Kräfte in allen deutschen Ländern“ wurde. So sei in den Sendern ein „bemerkenswerter Überhang“ von Mitarbeitern entstanden, „die der jeweils regierenden Partei nahestehen“.

Kampagne gegen Chefredakteur

Ein Beispiel für die Macht der Politik: 2009 organisierte der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) eine konservative Mehrheit im ZDF-Verwaltungsrat, um den unliebsamen Chefredakteur Nikolaus Brender zu kippen.

In der föderalen ARD ist das System auf der Ebene der Landesfunkhäuser organisiert. Beim ZDF findet es sich im nationalen Großformat. Der Fernsehrat ist eine machtvolle Institution. Er stellt Richtlinien auf, verabschiedet den Haushalt. In aller gebotenen Staatsferne? Experte Hain rechnet so: Der Fernsehrat zählt 77 Mitglieder, unter ihnen drei Vertreter des Bundes, 16 der Länder, zwölf der Parteien.

Bund, Länder und Parteien kommen auf 31 Vertreter, macht gut 40 Prozent. Der Staats- und Parteienseite seien aber noch die Entsandten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der kommunalen Spitzenverbände zuzurechnen, womit das Gewicht der Politik auf 45 Prozent anwächst. Bedenkt man, dass wichtige Entscheidungen mit Dreifünftel-Mehrheit zu treffen sind, heißt das: Gegen Staat und Parteien läuft nichts.

Es war anders gedacht

Gedacht war das anders. Als nach dem Krieg der Rundfunk neu aufgebaut wurde, sollten zwar alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte eingebunden werden. Doch solange Briten und Amerikaner das Sagen hatten, blieben die Parteien draußen. Ihr Einfluss wuchs erst, als in den 50er-Jahren die Alliierten ihren Kontrollgriff lockerten.

Die Politik völlig aus dem öffentlich-rechtlichen System verbannen will nicht einmal das Bundesverfassungsgericht. Nach gängiger Rechtsprechung sollte ihr Gewicht in den Spitzengremien aber 30 Prozent tunlichst nicht überschreiten. Gemessen daran müsste der Klage gegen die Zusammensetzung der ZDF-Gremien, die Hain für Rheinland-Pfalz in Karlsruhe betreibt, eigentlich Erfolg beschieden sein.