Berlin. Dass Fritz Kuhn nun Oberbürgermeister in Stuttgart wird, gibt nicht allen in seiner Partei Auftrieb. Die Realos reklamierten den Erfolg am Montag für sich und eröffneten die Flügeldebatte. Grund für die linke Claudia Roth, nun erst Recht um ihre Spitzenkandidatur zu bangen.
Claudia Roth war gewohnt wortgewaltig. Dies sei ein „historischer Tag“, frohlockte die Grünenvorsitzende am Montag wegen des OB-Wahlsiegs von Realo Fritz Kuhn in Stuttgart. Auch Co-Chef Cem Özdemir und Fraktionschef Jürgen Trittin feierten die Revolution in der Schwabenmetropole. Dabei könnte das Wählervotum für die Grünen im Allgemeinen und Roth im Speziellen noch unangenehme Folgen haben.
In Stuttgart hat die Ökopartei mit einem betont unaufgeregten Wahlkampf und einem wertkonservativen Kandidaten die CDU nach Jahrzehnten aus dem Rathaus gefegt. Prompt meldete sich gestern Baden-Württembergs Verbraucherminister Alexander Bonde zu Wort und forderte die Bundesgrünen auf, stärker in die politische Mitte zu rücken. Und Parteiratsmitglied Palmer sagte: „Die Bundespartei sollte ernsthaft diskutieren, wie weit sie ins bürgerliche Lager eindringen will.“ Diese Diskussion habe die Parteilinke bisher vermieden, weil sie ihr unangenehm sei.
Tun sie schon genug fürs bürgerliche Lager?
Aus Sicht von Fraktionsvize Bärbel Höhn tut die Partei dagegen gut daran, an ihrer Linie wie bisher festzuhalten. „Wir machen bereits zahlreiche Angebote an das bürgerliche Lager“, sagte Höhn dieser Zeitung etwa mit Blick auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien im ländlichen Raum.
Parteienforscher Oskar Niedermayer zieht eine andere Lehre für die Bundesgrünen aus der OB-Wahl. Demnach sollten sie 2013 keinen klaren Lagerwahlkampf führen, um bürgerliche Wähler nicht zu vergrätzen. Doch der harsche Ton, den Roth auch gestern gegen Schwarz-Gelb fuhr, zeugte einmal mehr vom Gegenteil.
Ein Sieg in Stuttgart beweist: nichts
Aus Stuttgart verspricht sie sich nun Rückenwind für die anstehenden Landtagswahlen. Ob es den geben wird, darf bezweifelt werden. Zum einen hatte sich die CDU in Baden-Württemberg nicht richtig von der Niederlage bei der Landtagswahl erholt und so den grünen Wahlerfolg in Stuttgart mit ermöglicht. Zum anderen zeigte Stuttgart nur, was man ohnehin schon wusste: Die Ökopartei ist vor allem in den Großstädten stark.
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Roth hofft dennoch, dass die Grünen als „wertkonservative linke Partei“ viele Wähler auf dem Lande in Niedersachsen und Bayern ansprechen werden.
Die Urwahl wird jetzt noch spannender
Niedermayer geht davon aus, dass Kuhns Erfolg den gerupften Realos bei der Urwahl Auftrieb verleiht. Noch bis zum 30. Oktober stimmen die Grünen-Mitglieder ab, welches Spitzenduo sie in die Bundestagswahl schicken. Fraktionschef Jürgen Trittin gilt als gesetzt. Er zählt wie Roth zum linken Flügel. Kuhns Wahl könnte den Realo-Kandidatinnen Renate Künast oder Katrin Göring-Eckardt nun helfen und Roth womöglich verhindern. Wohl nicht ganz uneigennützig versuchte die Grünen-Chefin gestern alle Lagerdebatten im Keim zu ersticken: „Ich fände es völlig falsch, wenn wir in Flügelrhetorik verfallen würden.“