Essen.. Auch Geringqualifizierte profitieren momentan von der guten Wirtschaftslage und können sich zum Teil die Jobangebote aussuchen. Ein Revier-Unternehmer kann drei Stellen nicht besetzen.

Kaum ein Wirtschaftsverband in Deutschland, der nicht über den Fachkräftemangel stöhnt. Doch nicht nur bei den Akademikern und gut Ausgebildeten verzeichnen die Unternehmen einen Personal-Engpass. Auch Geringqualifizierte haben dank der brummenden Konjunktur derzeit gute Chancen auf eine Festanstellung, sagt das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Zahl der gering qualifizierten Arbeitslosen in NRW ist nach Angaben der Agentur für Arbeit von 441.322 (2009) stetig auf aktuell 389.713 gesunken.

Bisher war sich die Wissenschaft einig darüber, dass es für Geringqualifizierte – Menschen ohne Berufsausbildung – in einer zunehmend technisierten Welt immer schwieriger werde, eine Arbeit zu bekommen. In der Bevölkerung ist die Quote der Ungelernten nach Angaben mehrerer Forschungseinrichtungen mit 15 Prozent seit Jahren konstant.

„Wir haben festgestellt, dass für viele einfache Tätigkeiten nur noch Qualifizierte genommen werden“, sagt Gerhard Bosch, Arbeitsmarktforscher an der Uni Duisburg/Essen. Dies gelte für den Dienstleistungssektor ebenso wie für industrielle Arbeitsplätze. Es gibt jedoch Unternehmer in NRW, die auch Arbeit für Geringqualifizierte anbieten und Schwierigkeiten haben, ihre Stellen zu besetzen.

Schnell hocharbeiten

Wie Gerd Kleemeyer, der aus Bremen stammende Chef der Gera Chemie in Mülheim an der Ruhr. Der Betrieb beschäftigt 15 Mitarbeiter und produziert unter anderem Dämmmaterial und Abdichtungen für das Baugewerbe. Derzeit hat Kleemeyer drei Stellen für Produktionshelfer zu besetzen. Als junge ungelernte Kraft, sagt er, könne man sich von 8,50 Euro Stundenlohn schnell auf 9,50 Euro und „nach einer Weile im Betrieb“ und über Weiterbildungen auf 12,50 Euro pro Stunde hocharbeiten.

Gerd Kleemeyer, Chef der Gera Chemie in Mülheim an der Ruhr. (Foto: Mathias Schumacher / WAZ FotoPool)
Gerd Kleemeyer, Chef der Gera Chemie in Mülheim an der Ruhr. (Foto: Mathias Schumacher / WAZ FotoPool) © Unbekannt | Unbekannt

Dazu beteiligt sich der Arbeitgeber an der Pensionskasse und zahlt einen Fahrtkostenzuschuss. Damit erhalten die Angestellten mehr als die 4,1 Millionen Beschäftigten in Deutschland, die nach Angaben des Instituts für Arbeit und Qualifikation weniger als sieben Euro pro Stunde verdienen.

In Sozialsystemen eingerichtet

Für einen Großteil der Bewerber sei dies kein Anreiz. „Bei 30 Prozent habe ich das Gefühl, die kommen nur, um sich unterschreiben zu lassen, dass sie ein Bewerbungsgespräch aufgesucht haben“, klagt Kleemeyer. Andere scheuten die Verantwortung, die in einem kleinen Betrieb von jedem Mitarbeiter übernommen werden müsse. „In großen Belegschaften kann man abtauchen, ich brauche Leute, die mitdenken“, sagt Kleemeyer.

Dass sich ein Anteil von etwa zehn Prozent der arbeitslosen Ungelernten in den Sozialsystemen eingerichtet habe, schließt auch Gerhard Bosch nicht aus. Er warnt jedoch davor, zu generalisieren. „Die meisten Menschen ohne Job wollen arbeiten.“ Aus Sicht von Alexander Kubis vom IAB in Nürnberg trägt auch die allgemein gute Wirtschaftslage zur schwachen Resonanz auf die Stellenangebote bei Gera Chemie bei: „Mittlerweile werden auch geringqualifizierte Kräfte stark nachgefragt. Zum Teil können sie sich das beste Angebot aussuchen“.

Am häufigsten von Arbeitslosigkeit betroffen

In der chemischen Industrie sind beispielsweise in diesem Jahr Lohnerhöhungen von 4,5 Prozent ausgehandelt worden. Ungelernte Kräfte, die in Unternehmen arbeiten, die Tariflohn zahlen, erhalten nach Angaben der Gewerkschaft IGBCE in Westfalen somit 2490 Euro brutto im Monat, in der Region Nordrhein sind es 2480 Euro. Damit beträgt der Stundenlohn bei 37,5 Wochenstunden rund 16 Euro.

Auch wenn momentan die Chancen für Geringqualifizierte besser geworden sind, eine Stelle zu finden, ist die Gruppe immer noch die am häufigsten von Arbeitslosigkeit betroffene. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Menschen in NRW ohne Job gilt als geringqualifiziert.

  • Laut Sozialgesetzbuch gelten Menschen als gering qualifiziert, wenn sie ohne Ausbildungsabschluss sind oder mit Abschluss berufsfremd auf Helferebene tätig gewesen sind. Doch Vorsicht: Auch ein Studienabbrecher, der nach einem Informatik-Studium ohne Abschluss eine gut dotierte Stelle annimmt, gilt statistisch als ungelernt.
  • Für die Agentur für Arbeit stellen Geringqualifizierte ein Potenzial dar, um mögliche Fachkräfte-Lücken zu schließen, die sich demografiebedingt in den kommenden Jahren ergeben können.