Essen. . Hannelore Kraft, Annegret Kramp-Karrenbauer und jetzt Malu Dreyer: Noch nie waren die Zeiten für Frauen, die in der Politik Karriere machen wollen, so günstig wie heute. Zu diesem Schluss kommen mehrere Politikwissenschaftler. Grund dafür sei unter anderem die Sehnsucht nach einem anderen Politikstil.

Politikwissenschaftler sind sich einig: Noch nie waren die Zeiten für Frauen, die in der Politik Karriere machen wollen, so günstig wie heute. Während sie früher von Konkurrenten und den Medien häufig geringschätzig behandelt wurden, genießen sie heute hohes Ansehen.

„Es gibt eine Sehnsucht nach ­einem anderen Politikstil“, erklärt der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Besonders deutlich werde dies am Beispiel der Ministerpräsidentinnen in NRW, dem Saarland, in Thüringen und bald auch in Rheinland-Pfalz, wo die Sozialdemokratin Malu Dreyer den dienstältesten Landeschef Kurt Beck nach 18 Jahren ablösen soll.

Als erste Frau führte Heide Simonis von 1993 bis 2005 die Regierung eines Bundeslandes – in Schleswig-Holstein. Davor und in den ersten Jahren danach schaffte es keine Frau auf einen Länder-Chefsessel: So fuhr in Baden-Württemberg Ute Vogt als Spitzenfrau das für die SPD schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Landespartei ein. SPD-Frau Andrea Ypsilanti scheiterte nach einer ­eigentlich erfolgreichen Wahl in Hessen an der Bildung einer Regierung mit Duldung der Linkspartei.

Trendwende begann 2009 mit Christine Lieberknecht

Die Wende begann 2009, als Christine Lieberknecht (CDU) die Geschäfte in Thüringen übernahm. 2010 schließlich gelang es Hanne­lore Kraft (SPD) in NRW aus der ­Opposition heraus, die schwarz- ­gelbe Koalition abzulösen. Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wurde 2011 zur Ministerpräsidentin des Saarlandes gewählt, nachdem sie die völlig zerstrittene Jamaika-Koalition, an der letztlich ihr Vorgänger Peter Müller gescheitert war, aufgekündigt hatte.

„Auf ihrem langen Weg durch alle Institutionen und Führungsämter kommen die Frauen auch in der Politik ganz nach vorn“, sagt Korte. Die Politologin Bettina Munimus von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin schränkt aber ein, die große Stunde der Frauen komme erst, wenn ihre männlichen Vorgänger scheiterten, aufgäben oder die Partei am Boden liege: „Sie haben sich dann aber im Amt bewährt.“

Wie Korte und Munimus bescheinigt auch der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth den Ministerpräsidentinnen einen prag­matischen Politikstil und eine tiefe Verwurzelung mit der Heimat. „Sie wirken unaufgeregt“, sagt Langguth. Und das macht wohl ihren Erfolg aus.

Der neue Stil

Am Anfang war Heide Simonis. Eine Frau, ja, aber keine ­liebliche Landesmutter. Simonis ­regierte hart wie ein Kerl in Schleswig-Holstein. Heute erobern an­dere Politikerinnen die Länder. Sie schicken keine Kavallerie, sie sind nicht auf Krawall gebürstet, sie bringen einen neuen Stil in die Politik. Unaufgeregt, sachlich, herzlich sogar sind Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz), Annegret Kramp-Karrenbauer (Saarland), Hannelore Kraft (NRW) und die Pastorin Christine Lieberknecht (Thüringen). Politikwissenschaftler glauben: Die Wähler lieben die leisen Damen mehr als die lauten Herren.

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Von Julia Emmrich und Christian Kerl

Wann werden Frauen mächtig?

Wenn Männer scheitern. Wie einst Björn Engholm (SPD) im Norden. In Thüringen warfen die Folgen eines Skiunfalls den bis dahin populären Dieter Althaus (CDU) aus der Staatskanzlei. Hannelore Kraft musste den Scherbenhaufen zusammenkehren, den Peer Steinbrück der SPD hinterließ. Im Saarland und in Rheinland-Pfalz gerieten „ewige“ Ministerpräsidenten ins Straucheln (Müller, Beck). Sie selbst schoben die Damen nach vorn. „Frauen gelangen ins Amt, wenn es die Männer vorher aus der Kurve getragen hat“, sagt die Berliner Politologin Bettina Munimus.

Kommt dieser neue Politikerinnen-Typ bei den Bürgern an?

Karl-Rudolf Korte glaubt, ja. Der Politik-Experte der Uni Duisburg-Essen sagt: „Es gibt wohl eine Sehnsucht nach Politikern, die keinen roten Teppich brauchen. Die Zeiten sind post-heroisch.“ Statt auf den politischen Gegner einzudreschen, nahm Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) den SPD-Herausforderer Heiko Maas praktisch in den Arm. Malu Dreyer und Peer Steinbrück (beide SPD) sind grundverschieden. Weich, charmant und freundlich ist die künftige Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Der Mann, der Kanzler werden will, ist ein harter Hund mit ausgeprägtem Ego. An ihrem politischen Schicksal wird man ablesen können, wer besser ankommt. „Beliebt sind am Ende jene Politiker, die Nähe zum Normalbürger vorleben“, meint Gerd Langguth (Uni Bonn). Kurt Beck war stets „nah bei de Leut“, Malu Dreyer ebenso. Auch Olaf Scholz (SPD) in Hamburg bleibt auf dem Teppich.

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Wie wichtig ist Bürgernähe?

Extrem wichtig. Während Hannelore Kraft gern mit Menschen plaudert, fremdelte Norbert Röttgen (CDU) schon mit dem simplen Biss in eine Bratwurst. „Für die neuen Damen in der Politik ist charakteristisch, dass sie bodenständig sind und die Kultur ihrer Region verkörpern“, sagt Bettina Munimus.

Wie reagieren die Männer?

Irritiert. „Frauen zu bekämpfen ist schwerer als Männer zu bekämpfen“, glaubt Gerd Langguth. Gerhard Schröder wusste nicht recht, wie er Angela Merkel angehen sollte. Langguth vermutet, dass sich erst am Wahlabend 2005 die ganze aufgestaute Aggression des Kanzlers über Merkel ergoss („Frau Merkel ist eindeutiger Verlierer“). Bettina Munimus: „Heide Simonis war noch allein unter Männern. Sie hat deren Härte und Strenge übernommen. Inzwischen genießen Frauen in der Politik den Respekt ihrer männlichen Mitstreiter.“

Wie ausgeprägt sind Eigenschaften wie Mitgefühl und Teamfähigkeit bei den Frauen in der Politik?

Nicht alle sind schmuseweich. Julia Klöckner, CDU-Oppositionsführerin in Rheinland-Pfalz, gehört zur Abteilung Attacke. Das Auf­einandertreffen mit der „lieben“ Malu Dreyer wird daher spannend. Und Merkel? „Sie ist weniger mitfühlend als die Gutmenschen Kraft und Dreyer“, urteilt Langguth.