London/Belfast. Bei den Krawallen in Nordirland drohen nach Polizei-Einschätzung Tote. Zuletzt hatte sich am Sonntag der Frust entladen: Jugendlicher beider Lager kämpften bis in die Nacht gegeneinander. Dabei geht es schon lange nicht mehr um Politik, sondern um wirtschaftliche Konflikte.

Krisenstimmung in Belfast: Drei Nächte in Folge haben Straßenschlachten zwischen Protestanten, Katholiken und der Polizei den Norden der Stadt erschüttert. Gestern warnte der stellvertretende Polizeipräsident Will Kerr vor einer fatalen Eskalation des Konflikts: "Hier kann es in den nächsten Tagen oder Wochen Tote geben. Wir brauchen dringend eine politische Lösung."

Es ist die Saison der Märsche in Nordirland, wie jedes Jahr eine brenzlige Phase für den Friedensprozess. Wimpel, Fahnen, Farben - die traditionellen Accessoires und Marschrouten bei Paraden sorgen immer wieder für Zündstoff zwischen Protestanten und Katholiken. Nach mehreren Scharmützeln entlud sich so auch Sonntag der Frust: An der Shankill Road gerieten Jugendlicher beider Lager aneinander; die Kämpfe setzen sich seitdem jede Nacht fort.

Am 29. September ist die nächste Parade der Protestanten durch Belfast geplant

Zehn Randalierer zwischen 15 und 20 Jahren hat die Polizei zwar inzwischen festgenommen, doch allabendlich beteiligen sich über 350 Teenager an den Krawallen. Polizei-Vize Kerr drängt nicht wegen 60 verletzter Beamter zur Eile: "Eine Lösung um 5 vor 12 hilft niemandem mehr." Am 29. September ist die nächste große, kontroverse Parade der Protestanten durch Belfast geplant - im derzeitigen Klima ein gefährliches Vorhaben.

Ministerpräsident Peter Robinson hat gestern einen Dringlichkeitsgipfel versprochen; ob die Ergebnisse von allen Seiten respektiert werden, ist jedoch fraglich. Schon das Karfreitagsabkommen von 1998 haben Hardlinern nie wirklich akzeptiert. Die "Ulster Volunteer Force" und "Ulster Defence Association", zwei paramilitärische Splittergruppen aus alten Tagen, sollen nach Informationen des Guardian nun auch die aktuellen Unruhen der Jugendlichen anheizen.

Wirtschaftliche Verteilungskonflikte

Der frustrierten, jungen Generation geht es dabei längst nicht mehr um politische, sondern wirtschaftliche Verteilungskonflikte. Insbesondere für die protestantische Arbeiterschicht, die Katholiken Jahrzehnte bei der Jobvergabe diskriminieren konnte, sieht die Friedensdividende mau aus: Ihre Arbeitsplätze in der Schwerindustrie und dem Schiffsbau sind verschwunden. Um Stellen und einen mageren Wohlstand konkurrieren beide Gruppen bitter.