Hamburg. Der Philosoph Richard David Precht vergleicht das deutsche Schulwesen mit der Essstörung Bulimie: “Wissen ganz schnell in sich hineinstopfen und wieder auskotzen“. Vor dem Start seiner ersten eigenen TV-Show fordert Precht nicht weniger als eine Revolution des Schulsystems.

Der Philosoph Richard David Precht hat dem deutschen Schul- und Bildungssystem ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. "Dieses System muss nicht reformiert werden, es muss revolutioniert werden", sagte der Bestsellerautor ("Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?") im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd in Hamburg. "Wäre die Schule ein Wirtschaftsunternehmen, wäre sie längst pleitegegangen. Wäre die Schule ein Staatssystem, wäre sie längst kollabiert", sagt der 47-Jährige, dessen erste eigene Sendung mit dem Namen "Precht" am kommenden Sonntag (23.30 Uhr) im ZDF startet.

Das Thema der ersten Ausgabe des 45-minütigen Formats lautet "Skandal Schule - Macht lernen dumm?". Als Gast hat Precht den Hirnforscher Gerald Hüther eingeladen - wie Precht selbst ist auch Hüther ein scharfer Kritiker des Schul- und Bildungssystems.

Unglaublich wenig übrig

Ein Schulkind gehe 100.00 Stunden in die Schule, sagte Precht und fügte hinzu: "Und wenn man als Erwachsener vor der Aufgabe stehen würde, in dem Stoff des achten Schuljahres geprüft zu werden, dann sähe das Folgendermaßen aus: Sie würden merken, dass von all dem, was Sie in den 100.000 Stunden gelernt haben, unglaublich wenig übrig geblieben ist."

Nach Angaben des Philosophen macht Deutschland in der Schule "alles falsch". Es mache keinen Sinn, an einem Tag fünf oder sechs verschiedene Fächer zu haben. "Wir lernen zu viel Wissen, das wir wieder vergessen dürfen. Wir lernen nach dem Prinzip des Bulimielernens: Ganz schnell in sich hineinstopfen und wieder auskotzen", kritisiert der 47-Jährige. Für das, was die Gesellschaft in Zukunft brauche, bräuchten wir anders ausgebildete Kinder.

So fordert der Philosoph, dass Kinder ihre Neugier und Begeisterungsfähigkeit behalten: "Wenn ich mit meinem Sohn über den Schulstoff rede, zum Beispiel über Römer, dann hängt er an meinen Lippen. Wenn er das in der Schule macht, langweilt er sich."

Eine Kunst, die maximal eine Sekretärin beherrschen müsse

Die Praxisnähe ist nach Einschätzung des Philosophen nur ein Teil unter vielen: "Ich möchte, dass die Kinder lernen, ihre Kreativität einzusetzen. Und nicht, dass die Kinder lernen, etwas Vorgefertigtes zu reproduzieren." Das sei nämlich eine Kunst, die maximal eine Sekretärin können müsse. "Für die gibt es aber künftig weniger Bedarf, weil die einfachen Berufe, für die sie in der Schule ausbildet werden, verschwinden", sagte Precht. Die Berufe würden immer anspruchsvoller. "Da müssen sie Problemlösungs-Know-How haben. Und das lernen sie nicht in der Schule", kritisiert Precht, dessen neues Buch 2013 erscheint - Thema: das deutsche Bildungssystem. (dapd)