Stockholm. . Anders Breivik muss für den Massenmord von Oslo und Utöya wahrscheinlich lebenslang ins Gefängnis. Weil man ihn für schuldfähig befand. Es war genau das Urteil, das der Angeklagte von Anfang an wollte.

Als Anders Behring Breivik an diesem regnerischen Freitagmorgen ein allerletztes Mal im Saal 250 des Osloer Amtsgerichts Platz nahm, hatte er wieder sein schmales Grinsen auf den Lippen, das die Angehörigen seiner insgesamt 77 Opfer so oft aus der Fassung gebracht hat. Auch der zur Faust abgewandelte Hitlergruß fehlte gestern nicht. Breivik wirkte, als wüsste er schon, dass das ein guter Tag wird für ihn.

Um 10 Uhr verkündete Richterin Wenche Elizabeth Arntzen das einstimmige Urteil der aus zwei Amts- und drei Laienrichtern bestehenden Jury: Der 33-jährige Anders Behring Breivik wird gemäß seinem eigenen Willen nicht für psychisch krank erklärt, sondern erhält die Höchststrafe von 21 Jahren Gefängnis. Dazu wird eine „Sicherungsverwahrung“ verhängt.

Rational und geplant gehandelt

Nach der gesetzlichen Maximalhaftzeit kann eine Haftkommission Breiviks Strafe damit alle fünf Jahre verlängern, wenn er dann noch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Verteidiger Geir Lippestad hatte die Norweger dennoch vorab gewarnt: „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass Breivik eines Tages doch wieder freikommen kann. Schließlich sieht das norwegische Strafgesetz keine lebenslänglichen Haftstrafen vor.“

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Wie erklärt man, dass einer, der ganz allein in Oslo und auf der Insel Utöya 77 Menschen tötet, nicht verrückt sein soll? Die Urteilsbegründung ist 90 Seiten lang. Darin steht: Breivik habe zu rational und geplant gehandelt, als dass er für unzurechnungsfähig erklärt werden könne. Sein Motiv sei zudem klar politisch gewesen. Breivik habe sich vor der Tat monatelang mit anabolen Steroiden und mit Ephedrin aufgeputscht. Erst dadurch sei er in der Lage gewesen, seine Hemmungen so zu überwinden, dass er den Massenmord begehen konnte, so die Richter. Zur Vorbereitung hätten auch Computerspiele wie World of Warcraft gedient, das in Norwegen heute nicht mehr verkauft wird. Im Schützenverein hatte er den Umgang mit Waffen erlernt. Gleichzeitig stellten die Richter aber auch fest, dass es keine Anzeichen für den europaweiten anti-islamischen Kreuzritterorden gebe, dessen Mitglied zu sein Breivik behauptet.

Im Breivik-Fall stand Gutachten gegen Gutachten

Die Ankläger waren darüber sichtlich enttäuscht. Sie wie auch der größere Teil der psychiatrischen Sachkundigen hatten sich für Schuldunfähigkeit ausgesprochen und einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik gefordert. Breivik sei eindeutig „vor, während und nach der Tat“, psychotisch gewesen und gehöre in eine Psychiatrie, hatten die Autoren eines ersten Gutachtens befunden. Ein zweites Gutachten kam zu dem Schluss, dass Breivik zurechnungsfähig sei.

Die rechtsmedizinische Kommission des Gerichts hielt sogar das erste Gutachten für glaubwürdiger. Und auch Breiviks Anwalt Geir Lippestad hatte kurz nach den Anschlägen gesagt, er halte seinen Mandanten für klar schuldunfähig. Doch in dem zehnwöchigen Prozess musste Lippestad gemäß der Anweisung seines Mandanten für die Anerkennung der Schuldfähigkeit kämpfen. Breivik wollte alles, nur nicht als verrückt dastehen. Seine Taten seien „grausam, aber notwendig“ gewesen, um den Norwegern die Augen für die Gefahr der Islamisierung zu öffnen, erklärte er. Auch bei seinem Schlusswort äußerte er einmal Bedauern darüber, dass er nicht noch mehr Menschen getötet habe.

„Hauptsache keine Berufung“

Die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer wirkten mitgenommen, aber zufrieden mit dem Urteil. Einige weinten bei der Urteilsverkündung. Eskil Pedersen, Chef der sozialdemokratischen Jugendorganisation, der Utöya überlebt hatte, sagte: „Hauptsache, es gibt keine Berufung. Ich hoffe, das Urteil setzt einen Schlusspunkt für diesen Prozess.“

Und darum ging es. Es war, so mutmaßten Prozessbeobachter, vielleicht sogar ausschlaggebend für Richterin Arntzens Entscheidung. Denn hätte sie ihn für psychisch krank erklärt, wäre Breivik in Berufung gegangen. In Norwegen will aber niemand einen weiteren Breivik-Prozess, ein erneutes Aufreißen der Wunden, ein Wiedersehen mit dem schmalen Grinsen und der geballten Faust und schon gar nicht noch mehr Schlussworte wie dieses.