Oslo. Ein Gericht in Oslo erklärte den Massenmörder Anders Behring Breivik am Freitag für zurechnungsfähig und verurteilte ihn wegen der Anschläge mit 77 Toten im vergangenen Sommer zur Höchststrafe von 21 Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung. Vor Gericht inszenierte sich Breivik als edler Kreuzritter. Für die Opfer hingegen ist er ein feiger Mörder, der nun seine gerechte Strafe erhalten hat.

Er wollte als Märtyrer in die norwegische Geschichte eingehen, als entschlossener Kämpfer, der für seine politische Überzeugung hinter Gitter muss. Das Osloer Bezirksgericht tat dem rechtsextremen Amokläufer Anders Behring Breivik den Gefallen. Wegen Terrorismus' und Mordes an 77 Menschen in Oslo und auf der Insel Utöya im Sommer vergangenen Jahres muss der 33-Jährige wohl den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen.

In schwarzem Anzug und mit gepflegtem Bart betrat Breivik das Gericht und reckte die Faust kämpferisch in die Höhe. Mit einem zufriedenen Lächeln nahm er schließlich den Richterspruch zur Kenntnis. Der Massenmörder hatte im Prozess immer wieder gesagt, für ihn wäre es die schlimmste Strafe, für unzurechnungsfähig erklärt zu werden. Ein solches Urteil hätte seine politischen Motive infrage gestellt.

BreivikKeine Hinweise auf selbst ernannten Tempelritter

Dabei gab es durchaus Hinweise, das der geständige Attentäter in einer anderen Welt lebt. Breivik glaubte sich an der Spitze einer Widerstandsbewegung, die mit Waffengewalt gegen die Islamisierung Europas kämpft. Allerdings konnten die Ermittler keine Hinweise auf die selbst ernannten Tempelritter finden. Alles deutet daraufhin, dass Breivik mit seiner kruden Weltsicht alleine dastand und sich das radikale Netzwerk lediglich einbildete.

In seinem Manifest mit dem Titel "2083. Eine Europäische Unabhängigkeitserklärung" schwadroniert er gegen Muslime und Marxisten. Seinen schweren Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel und die beispiellose Menschenjagd auf Utöya rechtfertigte er mit dem Kriegszustand, in dem sich Europa seiner Auffassung nach befindet.

Breivik hörte früher Hip-Hop und sprühte Graffiti

Als Jugendlicher war Breivik noch ein Hip-Hop-Fan, der in weiten Hosen und Kapuzenpullovern nachts aus dem Fenster stieg, um Graffiti zu sprühen. Er habe dann zu sich gefunden, dieses Leben abgelegt und entschieden, seinem Dasein Bedeutung einzuhauchen, schreibt Breivik in seinem Manifest weiter. Er wolle sich zum selbstlosen Kreuzritter machen, der die Gesellschaft vor sich selbst beschützt.

Anstößig habe er die Freude eines muslimischen Freundes über Berichte von Raketenangriffen auf US-Streitkräfte während des Golfkriegs Anfang der 1990er Jahre empfunden, schreibt der geständige Attentäter. "Ich war zu dieser Zeit komplett unwissend und apolitisch, aber seine totale Respektlosigkeit gegenüber meiner Kultur (und der westlichen Kultur im Allgemeinen) weckte mein Interesse und meine Leidenschaft für diese."

Breivik verachtete Muslime

Es sei das NATO-Bombardement auf Serbien 1999 gewesen, das "den Ausschlag gegeben" habe, da er mit dem serbischen Vorgehen gegen die albanischen Muslime im Kosovo sympathisiert habe, erklärt Breivik in dem Traktat. Ein Jahr später habe er dann realisiert, dass das, was er "Islamisierung Europas" nannte, nicht mit friedlichen Mitteln aufzuhalten sei.

Breiviks Manifest zählt Ereignisse auf, die seine Verachtung für Muslime und Marxisten vergrößerte. Er machte sie dafür verantwortlich, Europa kulturell zu unterwandern. Von September 2009 bis Oktober 2010 schrieb Breivik mehr als 70 Einträge auf Dokument.no, einer norwegischen Website mit kritischen Beiträgen zum Islam und zu Immigration.

Breivik habe "viel gelesen, aber nicht wirklich verdaut"

Im Dezember 2009 tauchte Breivik bei einem Treffen auf, das von Mitarbeitern der Website organisiert wurde. "Er war ein bisschen seltsam. Wie man aus seinen Beiträgen ersehen konnte, hatte er offensichtlich viel gelesen, es aber nicht wirklich verdaut", sagte Hans Rustad, Herausgeber der Internetseite.

Seine Erziehung in einem Mittelklasse-Haushalt bezeichnete Breivik selbst als privilegiert, auch wenn sich seine Eltern scheiden ließen, als er ein Jahr alt war, und er als Jugendlicher den Kontakt zu seinem Vater verlor. Die Eltern trennten sich, als die Familie in London lebte, wo der Vater in den 1970er Jahren als Diplomat für die norwegische Botschaft arbeitete.

Beide Elternteile hätten die norwegische Arbeiterpartei unterstützt, erklärte Breivik. Diese betrachtete der Sohn als von Marxisten infiltriert - und nahm sie schließlich als selbst ernannter Kreuzritter bei ihrem Jugendlager auf Utöya mit verheerender Konsequenz ins Visier.

Breivik konnte sich noch mal als Kreuzritter inszenieren

Nun wird Breivik sein Leben im Gefängnis Ila am Rande von Oslo fristen. Er dürfte sich als politischer Gefangener sehen, der für seine Überzeugung hinter Gitter muss.

Während des Prozesses konnte er sich noch einmal als jener edle Kreuzritter inszenieren, als der er sich selbst sieht. Für die Opfer hingegen ist er ein feiger Mörder, der nun seine gerechte Strafe erhalten hat. Mit dem Schuldspruch können sie endlich mit dem Doppelanschlag abschließen. "Von jetzt an werde ich nicht mehr an ihn denken", sagte Emma Martinovic, die das Massaker auf Utöya überlebte, der norwegischen Zeitung "Verdens Gang". (dapd)

Fragen und Antworten zum Fall Breivik   

Stand Breiviks Schuld infrage?
Breivik hat die Anschläge von Oslo und Utöya nie geleugnet. Zugleich erklärte er im Prozess, nach eigener Auffassung kein Verbrechen begangen zu haben. Die norwegische Justiz sei Teil eines politischen Systems, das den Multikulturalismus fördere, sagte er. Mit seinen Taten habe er verhindern wollen, dass Norwegen von muslimischen Migranten unterwandert werde.

Welches waren die möglichen Urteile?
Die zentrale Frage war nicht die nach Breiviks Täterschaft. Das Gericht in Oslo musste vor allem darüber entscheiden, ob Breivik schuldfähig ist. Zwei psychologische Gutachten waren hier zu gegenteiligen Schlüssen gekommen. Wäre er als geisteskrank eingestuft worden, wäre er in eine besonders gesicherte psychiatrische Anstalt eingewiesen worden. Die Richter entschieden aber, er sei bei geistiger Gesundheit und damit schuldfähig. Breivik selbst hatte sich vehement gegen die Auffassung gewehrt, er sei geisteskrank, weil damit auch seine politischen Motive infrage gestellt worden wären.

Was geschieht mit Breivik nach dem Urteil?
Breivik wird voraussichtlich wieder in das am Rande von Oslo gelegene Gefängnis Ila gebracht. Dort war er bereits die meiste Zeit seit seiner Festnahme vor 13 Monaten eingesperrt. Das Gefängnis richtete eigens für Breivik einen psychiatrischen Trakt ein, der nun allerdings wohl nicht zur Anwendung kommen wird.

Wie ist die Unterbringung in Ila?
Norwegen ist stolz auf sein humanes Strafvollzugssystem. In Ila gibt es Weiterbildungskurse für Gefangene, eine Bibliothek, Sportanlagen und Werkstätten. Weil Breivik isoliert untergebracht ist, ohne Kontakt zu Mitgefangenen, ist ihm der Zugang zu diesen Einrichtungen allerdings verwehrt. Ihm wurden daher drei Zellen zugesprochen, die jeweils acht Quadratmeter groß sind. In einer Zelle steht sein Bett, in der zweiten ein Schreibtisch mit Laptop und in der dritten Sportgeräte. Breivik hat zudem eine Stunde pro Tag Hofgang.

Wird Breivik je wieder freikommen?

Rechtsexperten gehen davon aus, dass Breivik nie wieder freikommen wird. Der Gefängnisstrafe wurde von den Richtern eine anschließende Sicherungsverwahrung hinzugefügt. Solange Breivik von den zuständigen Stellen als Gefahr für die Öffentlichkeit eingestuft wird, bleibt er hinter Gittern. "Rein juristisch wäre es möglich, dass er nach Jahren freikäme. Realistisch gesehen, verbringt er sein Leben womöglich hinter Gittern", sagte der frühere Osloer Oberstaatsanwalt Lasse Qvigstad. (dapd)